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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ihrem Inneren zuhörte, in einer fremden Sprache – aber nicht unbedingt erfreut darüber war, was sie hörte, auch wenn sie es nicht verstand.
    Ich sah in Jacobs offenes Gesicht. Er weiß es noch nicht, dachte ich. Es war komisch: Ich war nahe genug verwandt, daß er mir persönliche Fragen stellte, aber nicht so nahe, daß er vor der Antwort Angst gehabt hätte. Seine eigene Tochter würde er nie so direkt fragen.
    Ich schlief schlecht in dieser Nacht; meine Gedanken kreisten ständig um Rick und Jean-Paul, und ich machte mir schwere Vorwürfe. Ich machte mich ganz verrückt dabei. Irgendwann schlief ich dann doch ein, wachte aber schon früh wieder auf.
    Ich brachte die Bibel mit nach unten. Jacob und Susanne saßen schon am Tisch und lasen Zeitung, zusammen mit einem blassen Mann mit rotem Haar, das eher karottenfarben als kastanienbraun wie meines war. Auch seine Wimpern und Brauen waren rötlich, was seinem Gesicht einen unbestimmten, vagen Ausdruck gab. Er stand auf, als ich hereinkam, und streckte mir die Hand entgegen.
    »Ella, das ist Jan, mein Freund«, sagte Susanne. Sie sah müde aus; ihren Kaffee hatte sie nicht angerührt, auf der Oberfläche begann sich eine fleckige Haut zu bilden.
    Ah, der zukünftige Vater, dachte ich. Sein Händedruck war schwächlich. »Es tut mir leid, daß ich gestern nicht hier war und Sie nicht begrüßen konnte«, sagte er in perfektem Englisch. »Ich spielte bei einem Konzert in Lausanne und kam erst sehr spät am Abend zurück.«
    »Was spielen Sie?«
    »Ich spiele die Flöte.«
    Ich lächelte; teilweise über sein formelles Englisch und teilweise, weil sein Körper auch ein bißchen wie eine Flöte aussah: Dünn, mit runden Gelenken und einer gewissen Steife in den Beinen und im Oberkörper, wie der eiserne Holzfäller im ›Zauberer von Oz‹.
    »Sie sind kein Schweizer, oder?«
    »Nein, ich bin Holländer.«
    »Oh.« Mir fiel nichts ein, was ich dazu hätte sagen können, seine Förmlichkeit ließ mich erstarren. Ich wandte mich ungeschickt an Jacob. »Ich lege die Bibel ins andere Zimmer, damit du sie dir nach dem Frühstück ansehen kannst, ja?« sagte ich.
    Jacob nickte. Ich ging in den Flur zurück und probierte eine andere Tür. Sie führte in einen langen, sonnigen Raum, der mattweiß gestrichen war, mit unlackiertem Holz ausgestattet und mit glänzenden schwarzen Fliesen auf dem Boden. Er war sparsam möbliert mit einem Sofa und zwei abgewetzten Lehnstühlen; wie im Schlafzimmer hing nichts an den Wänden. Am entfernten Ende des Raumes stand ein schwarzer Konzertflügel mit geschlossenem Deckel und ein Cembalo aus Rosenholz gegenüber. Ich legte die Bibel auf den Konzertflügel und ging zum Fenster, um mir Moutier zum ersten Mal richtig anzusehen.
    Die Häuser lagen verstreut um uns herum und den ganzen Berg hinter dem Haus hinauf. Jedes Haus war entweder grau oder cremefarben, mit einem steilen Schieferdach, das unten in einen Rand auslief, der wie ein wehender Rock nach außen gestellt war. Die Häuser waren insgesamt höher und neuer als die in Lisle, mit frisch gestrichenen Fensterläden in klaren Rot-,Grün- und Brauntönen, obwohl es gleich gegenüber von Jacobs Haus ein überraschendes metallischblaues Paar gab. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus, um Jacobs Fensterläden zu sehen: Sie waren gar nicht gestrichen, sondern in ihrem natürlichen karamelfarbenen Holzton belassen.
    Hinter mir hörte ich Schritte, und ich zog den Kopf wieder ein. Mit einer Tasse Kaffee in jeder Hand stand Jacob neben mir und lachte mich aus. »Aha, du spionierst also schon unsere Nachbarn aus!« rief er und gab mir eine Tasse.
    Ich grinste. »Eigentlich hab ich mir deine Fensterläden angesehen. Ich wollte sehen, in welcher Farbe du sie gestrichen hast.«
    »Gefallen sie dir?«
    Ich nickte.
    »Also, wo ist diese Bibel? Ah, hier. Gut, dann kannst du jetzt wieder nach Hause fahren«, neckte er mich.
    Ich setzte mich neben ihn auf das Sofa, als er das Buch auf der ersten Seite aufschlug. Er blickte lange auf die Namen, mit erfreutem Gesichtsausdruck. Dann griff er hinter sich und zog aus einem Bücherregal ein Bündel Papiere, die zusammengeklebt waren. Er faltete sie auseinander und breitete sie auf dem Fußboden aus. Das Papier war vergilbt, das Klebeband brüchig.
    »Das ist der Familienstammbaum, den mein Großvater gemacht hat«, erklärte er.
    Die Handschrift war gut lesbar, der Baum exakt gezeichnet. Trotzdem war das Ganze eine verwirrende Angelegenheit: Es gab

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