Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
allein von der Familie.«
»Der Exfamilie«, sagte Halders.
»Es ist immer noch eine Familie. Zwei Personen sind eine Kernfamilie.«
Halders nickte. Er gehörte selber einer Exfamilie an. Seine Exfrau Margareta war vor sieben Jahren von einem Betrunkenen überfahren worden. Seine Kinder waren noch sehr klein gewesen. Manchmal kam es ihm vor, als wären sie noch so klein gewesen, dass sie kaum zu sehen waren.
»Was ist mit der Kleinen?«, fragte Ringmar.
»Auf dem Weg zu Mars’ Schwester in Hagen«, sagte Winter. »Vielleicht schon dort.«
»Wann hat sie das letzte Mal Flüssigkeit bekommen?«, sagte Halders. »Milch? Konnte uns das Sahlgrensche in dem Punkt weiterhelfen?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Winter. »Es kann sich um zwei Tage handeln, dann hat es auf der Kippe gestanden, dass das Kind überlebt, fast eine Sensation, mehr Tage können es nicht sein. Wenn wir nach den Zeitungen im Briefkasten gehen, waren es drei Tage.«
»Der Mörder hat sich gekümmert«, sagte Halders.
»Ich glaube auch, dass er zurückgekommen ist«, sagte Hoffner.
»Das ist ja total krank«, sagte Halders.
»Ein Leben hat er gerettet«, sagte Hoffner.
»So kann man es auch sehen!«
»Du brauchst gar nicht zu lachen.«
»Habe ich gelacht? Wann habe ich gelacht?«
»Wenn wir wissen, warum er zurückgekommen ist, wissen wir, was wir wissen müssen«, sagte sie.
»Wenn wir das wissen, sitzt er in Untersuchungshaft«, sagte Halders.
»Vielleicht sitzt er schon«, sagte Ringmar.
»Vermutlich«, sagte Halders.
»Wir haben nur einen Satz deutlicher Fingerabdrücke an den Zeitungen«, sagte Winter.
»Ja, des Zeitungsboten.«
Halders lachte auf, schüttelte kurz den Kopf über sich selbst.
»Aneta hat mit ihm gesprochen«, sagte er nach einer Weile. »Ihm ist aufgefallen, dass alte Zeitungen im Briefkasten steckten.«
»Wenn die Morde vor mehr als drei Tagen passiert sind, deutet es darauf hin, dass jemand Zeitungen aus dem Kasten genommen hat«, sagte Winter.
»Der Mörder«, sagte Halders. »Sie liegen bei ihm zu Hause.«
»War ihm klar, wir würden wissen, dass das Baby ohne Hilfe nicht überleben konnte?«
Niemand antwortete.
Winter fuhr in westlicher Richtung, passierte den Schlosswald, bog in die Margretebergsgatan, in die Kungsladugårdsgatan ein. Am Mariaplan sah er, dass Robert Maglia ein neues Restaurant eröffnet hatte, »Enoteca Maglia«. In Kungshöjd hatte Robert das » 1965 « betrieben, Winters und Angelas Lieblingsrestaurant, gleich gegenüber von ihrer Wohnung. Damals hatten sie noch keine Kinder gehabt, und Winter war noch ein junger Mann gewesen.
Er parkte vor dem Haus in der Fullriggaregatan. Er sah die Spielhütte. Hier hatte er die entscheidenden Jahre seines Lebens verbracht. In der Spielhütte hatte er das erste Mal allein in einem Haus geschlafen, das etwas abgeschieden stand. Das erste Mal in einem Schlafsack. Zum ersten Mal onaniert hatte er in der Hütte, an einem Sommerabend, ein heftiger, schöner jäher Schmerz zwischen den Beinen, Sperma auf seiner Hand. Er hatte noch nicht gelernt, die Hand vor dem Erguss zu schützen. War er elf gewesen? Zwölf? War das früh oder spät im Leben? Der Sexualtrieb ist das Schlimmste, was es gibt, hatte Halders vor einer Stunde gesagt. Es stimmte und war doch falsch. Als er das erste Mal ein Mädchen an der Brust berührt hatte, war es in der Spielhütte geschehen. Sie hatten Vater, Mutter und Kind gespielt, aber es gab keine Kinder. Sie hatte fast noch keine Brüste. Über seiner Peniswurzel wuchsen kaum Haare.
Die Haustür stand schon offen. Lotta hatte ihn durch das Küchenfenster kommen gesehen, von dort hatte man alles im Blick. Sie hatte das Haus ihrer Kindheit übernommen, in dem sie nun allein lebte. Bim und Kristina wohnten nicht einmal mehr in Göteborg. Ihr Exmann, Benny Vennerhag, lebte noch. Leider.
Seine kleine Schwester.
Er stieg aus dem Auto und öffnete die Gartenpforte.
Lotta umarmte ihn, als sie sich auf halbem Weg im Flur mit den Steinfliesen begegneten, die es immer gegeben hatte, seit Millionen Jahren gab es sie.
»Ich hatte nicht eher Zeit, dich zu besuchen«, sagte er.
Sie saßen in der Küche. Es roch, wie es immer gerochen hatte, Düfte, die ihn sofort in die Vergangenheit zurückversetzten, nur Düften gelang so etwas.
»Ich habe darüber gelesen«, sagte sie. »Grässlich. Entsetzlich.«
Er nickte.
»Und du bist mittendrin gelandet.«
»Ich weiß nicht, ob ich darin ›gelandet‹ bin.«
»Du weißt, wie
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