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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht erkennen, ob sein Gesicht blasser war als sonst, aber seine Anspannung war unübersehbar.
    Dann kam das Beben wieder, begleitet von einem Grollen.
    »Wir müssen schnell raus!«, rief Sutton. »Irgendwo kommt noch mehr runter! Los!« Er eilte voran. Snoot lief mit gesträubtem Fell neben ihm her.
    Die anderen folgten ihm dicht auf den Fersen. Jeder hielt seine Laterne hoch. Monk sah den gelben Widerschein des Lichts an den Wänden. Bildete er sich das ein, oder wölbten sie sich tatsächlich, als würden sie jeden Moment einbrechen und gewaltige Wassermassen freigeben, die sie alle unter sich begraben würden? Er keuchte unwillkürlich und begann am ganzen Leib zu zittern. War er also doch ein Feigling? Der bloße Gedanke bestürzte ihn.
    Aber was war es, wovor er Angst hatte? Der Schmerz oder der Tod? Das Ende aller Möglichkeiten, es noch einmal zu versuchen und besser zu machen? Oder das Vergessen, das bloße Ende seiner Existenz?
    Nein. Er hatte Angst davor zu versagen. Aber das war etwas, was er beherrschen konnte. Es mochte ihn alles kosten, was er hatte, aber er hatte immer noch die Kraft, seine Feigheit zu überwinden. Und seine Kraft war nichts Äußeres, sie lag in ihm selbst. Er spürte, wie sich sein Herzschlag beruhigte.
    Er hing an Suttons Fersen, Rathbone an den seinen, und dicht dahinter folgten Crow, Orme und Runcorn. Sie bewegten sich so schnell es der glitschige Schutt erlaubte. Weil die Decke sehr niedrig war, konnten sie zudem nur geduckt laufen.
    Der Geruch schien stärker zu werden und stieg Monk immer stechender in die Nase. Das waren nicht nur Abwässer, das war Gas. Er lauschte angestrengt, hörte aber kein weiteres Grollen, nur das Klatschen ihrer Füße im tiefer werdenden Wasser und das vermehrte Trappeln und Quieken der Ratten. Waren die Tiere auch in Panik geraten? Bei den Geräuschen, die sie verursachten, stellten sich ihm die Nackenhaare auf, und doch war ihm das unendlich viel lieber als völlige Stille. Wenn die Ratten lebten, gab es wenigstens noch Atemluft.
    Doch nun keimte eine neuerliche Furcht in ihm auf, die er nicht aussprechen wollte, die aber zunehmend seine Gedanken beherrschte: Sixsmith war frei. Niemand außer ihnen, Hester und Scuff wusste, dass er schuldig war. Die Einzigen, die das beweisen konnten, waren hier in diesem Loch tief unter der Erde. Würde Sixsmith sie doch noch in eine Falle locken und lebendig begraben?
    Sutton lief in der stärker werdenden Strömung weiter. Er musste jetzt Snoot hochheben und tragen. Das Wasser war inzwischen zu tief für ihn geworden.
    Niemand machte eine Bemerkung über das, was nur zu offensichtlich war. Nur einmal drehte sich Monk um und blickte in schlammverschmierte Gesichter und Augen voll unverhüllter Angst. Rathbones Mundwinkel wiesen nach unten, doch er sagte nichts.
    »Dicht beieinander bleiben!«, warnte Monk. »Jeder hält sich am Vordermann fest. Wenn einer den Kontakt verliert, bleiben wir sofort stehen. Das ist ein Befehl!«
    Sie kämpften sich weiter voran. Der Geruch wurde eindeutig stärker. Erneut gab es ein gewaltiges Beben. Sutton blieb abrupt stehen, und sie sahen einander an. Keiner sagte ein Wort.
    Sie setzten sich wieder in Bewegung und erreichten eine Gabelung. Sutton entschied sich für den rechten Tunnel. Keiner zog das in Zweifel. Zehn Minuten später wurde das Wasser flacher, und gleich darauf standen sie vor einem riesigen Felsbrocken, der sich bei dem Beben gelöst haben musste und den Weg blockierte. Kein Lufthauch kam von der anderen Seite durch.
    »Das tut mir leid«, sagte Sutton leise.
    Jeder versicherte ihm, dass er sich deswegen keine Gedanken machen solle. Sie waren kaum verstummt, als hinter dem Felsen ein hohles Donnern aufbrandete und wieder verhallte. Danach breitete sich Stille aus, völlige, erstickende Stille.
    Die Laterne rutschte Sutton aus der Hand und klatschte ins Wasser. Kurz flackerte das Licht unter der dicken, schlammigen Brühe, dann erlosch es.
    »Was war das?«, ächzte Runcorn. »Wasser?«
    »Nein.« Sutton drückte Snoot fester an sich.
    »Was dann?«, fragte Rathbone.
    »Feuer«, krächzte Sutton.
    »Allmächtiger Gott!« Rathbone lehnte sich gegen die Wand. Sein Gesicht war im matten Lichtschein ganz grau.
    »Ich schätze, Mr. Sixsmith weiß, dass wir hinter ihm her sind«, seufzte Orme. »Schade, dass wir ihn nich’ mehr kriegen. Er is’ ein wirklich übler Kerl.«
    »Gelinde gesagt«, stieß Crow bitter hervor. »Kehren wir um.«
    Keiner entgegnete etwas;

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