Das dunkle Labyrinth: Roman
»Aber vielen Dank für Ihre Hilfe. Könnten Sie uns bitte noch die Adresse von Mr. Argylls Bruder geben? Wir müssen ihm mitteilen, was geschehen ist. Wo Miss Havillands nächste Angehörigen leben, können Sie uns nicht zufällig sagen? Das wären wohl ihre Eltern.«
»Das weiß ich wirklich nich’, Sir. Aber Mr. Argylls Adresse kann ich Ihnen geben. Kein Problem. Der arme Mann wird am Boden zerstört sein. Sie haben sich sehr nahegestanden.«
Alan Argyll lebte nur ein kurzes Wegstück entfernt in der Westminster Bridge Road. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Monk und Orme vor dem stattlichen Haus standen, zu dem sie Mrs. Porter geschickt hatte. Die Vorhänge waren an diesem frühen Winterabend bereits zugezogen, und die Gaslampen auf der Straße offenbarten eine elegante Fensterreihe, Steinstufen zu einer breiten handgeschnitzten Tür, und den Klopfer, einen in ihrem Licht schimmernden Löwenkopf aus Messing.
Orme sah Monk an, sagte aber nichts. Eine solche Nachricht Familienangehörigen zu überbringen, das war unendlich viel schlimmer, als eine Zimmerwirtin davon in Kenntnis zu setzen, egal, wie groß ihre Anteilnahme sein mochte. Monk deutete ein Nicken an. Worte waren nicht nötig. Orme arbeitete am Fluss; er war an den Tod gewöhnt.
Eine kleiner, würdevoller Butler mit schütterem weißem Haar öffnete ihnen die Tür. Seinem festen und überhaupt nicht überraschten Blick nach zu urteilen, hielt er sie für Geschäftsfreunde seines Dienstherrn. »Mr. Argyll speist gerade«, ließ er Monk wissen. »Wenn Sie im Frühstückszimmer warten möchten, wird er Sie sicher bald empfangen.«
»Wir sind von der Wasserpolizei«, erklärte Monk, nachdem er ihm zunächst nur seinen Namen genannt hatte. »Wir haben leider eine schlechte Nachricht, die keinen Aufschub duldet. Es wäre ratsam, ein Glas Brandy bereitzustellen, falls es benötigt werden sollte. Es tut mir leid.«
Der Butler zögerte. »Sehr wohl, Sir. Darf ich fragen, was geschehen ist? Ist es einer von den Tunneln, Sir? So traurig es ist, solche Dinge lassen sich anscheinend nicht vermeiden.«
Monk war klar, dass so gewaltige Aushubarbeiten, wie sie gegenwärtig durchgeführt wurden, die Gefahr gelegentlicher Erdrutsche oder im Extremfall den Einsturz von Mauern mit sich brachten, bei dem Maschinen verschüttet und Menschen verletzt werden konnten. Erst vor wenigen Tagen hatte es am Fluss Fleet einen dramatischen Unfall gegeben. »Sehr richtig«, stimmte Monk zu. »Aber dieser Unfall hat sich am Fluss ereignet. So leid es mir tut, es handelt sich um eine traurige persönliche Nachricht für Mr. Argyll. Er muss so bald wie möglich davon in Kenntnis gesetzt werden.«
»O Gott«, murmelte der Butler. »Wie schrecklich. Jawohl, Sir, ich sage es ihm.« Er holte tief Luft. »Wenn Sie mir bitte ins Frühstückszimmer folgen möchten. Ich werde Mr. Argyll sofort zu Ihnen schicken.«
Das Frühstückszimmer war ein sehr düsterer, in dunklen Braun-und Goldschattierungen gehaltener Raum. Man hatte das Feuer ausgehen lassen. Vermutlich wurde das Zimmer zu dieser späten Stunde ohnehin nur selten benutzt. Monk und Orme blieben auf einem Aubusson-Teppich stehen und warteten. Keiner sagte etwas. Monk bemerkte über dem Kaminsims ein Gemälde von einer Gebirgslandschaft in den schottischen Highlands und ein ausgestopftes Murmeltier in einer Vitrine vor der Wand. Beides sollte wohl darauf hinweisen, dass es sich bei Argylls Reichtum um altes Geld handelte, und das wiederum veranlasste Monk zu der Vermutung, dass genau das wahrscheinlich nicht der Fall war.
Die Pendeltür schwang auf, und Alan Argyll stand auf der Schwelle. Sein Gesicht war blass, seine Augen wirkten im Schatten des Lampenlichts dunkel. Er war überdurchschnittlich groß und hager, und sein Auftreten ließ ungeheure körperliche wie geistige Kraft ahnen. Seine Züge waren wohlproportioniert, aber sie hatten etwas Kaltes an sich.
Es wäre lächerlich gewesen, ihn mit »guten Abend« zu begrüßen. Monk trat einen Schritt vor. »Mein Name ist William Monk, Sir. Ich bin von der Wasserpolizei. Dieser Herr ist Sergeant Orme. Ich bin zutiefst betrübt, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Bruder, Mr. Toby Argyll, am frühen Abend von der Waterloo Bridge gefallen ist. Obwohl wir ihn binnen weniger Minuten erreicht hatten, konnten wir ihn nur noch tot bergen.«
Argyll starrte ihn an. Er schwankte leicht, als hätte ihn ein Schlag getroffen. »Sie waren dort? Warum, in Gottes Namen, haben Sie nicht
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