Das dunkle Netz der Lügen
in den dunklen Gängen auf der Flucht. Mina wusste, er würde sich an jede ihrer einschmeichelnden Reden erinnern, mit denen sie versucht hatte, ihn dazu zu bringen, nach Ruhrort zu gehen, damit sie die Jungen zu sich holen und sich an ihrer Schwester und deren Mann rächen konnte. Sie, die Dame, von der sich Kellerer ein wenig Glanz erhofft hatte, die Prinzessin, die er sorgsam vom Tagesgeschäft seiner Huren fernhielt, die sich den anderen Mädchen gegenüber viel herausnehmen konnte, sie hatte ihn in diese Katastrophe gelockt. Und das würde er ihr nie verzeihen.
Er packte ihr Handgelenk mit eisernem Griff und schleifte sie durch das spärlich von einer Laterne erleuchtete Dunkel. Allmählich näherten sie sich der Stelle, wo sie Robert Borghoff niedergeschossen hatten. Und richtig, da war der Raum, in den Kellerers Leute ihn gebracht hatten.
Mathis konnte es nicht lassen, noch einmal zu seinem Opfer zu gehen. Als wolle er sich nochmals vergewissern, trat er gegen den leblosen Körper. Kein Zucken, kein Stöhnen.
«Er ist erledigt, Mathis.»
«Du bist besser still. Wir reden später.»
«Aber Mathis …»
«Das ist eine Katastrophe, Mina. Und du bist schuld. Sieh dir den Mann an, wegen dem du uns in diese Lage gebracht hast.» Er hielt sie immer noch am Handgelenk fest und legte ihr nun die Hand in den Nacken, um sie herunterzudrücken, ganz nah an den Toten. Sie wand sich, gab dann aber allen Widerstand auf. Als er sie wieder hochriss, rannen ihr die Tränen über die Wangen.
«Bitte, Mathis, ich hab das doch nicht gewollt …»
Er antwortete nicht und zog sie zurück in den Gang. Plötzlich hörten sie vor sich etwas.
«Still!», zischte er. Er stieß Mina in einen schmalen Seitengang. «Kein Wort!»
Dietrich meinte, ein Geräusch gehört zu haben, doch als er die anderen bat, kurz innezuhalten, war wieder alles still. Sie hatten gerade den Raum mit den beiden Toten hinter sich gelassen. Jetzt schien der Gang wieder schnurgerade und ohne weitere Öffnungen zu sein, doch das täuschte. Nur etwa zehn oder fünfzehn Meter weiter gab es mehrere kleine Nischen und Räume.
In jeden einzelnen hatte Dietrich kurz mit seiner Laterne geleuchtet, Lina immer dicht hinter sich. Alle waren leer und schon lange unbenutzt. Dann kam die letzte Öffnung, und Dietrich war zu entsetzt, um Lina davon abzuhalten, hineinzuschauen. Dort lag Robert, halb auf der Seite, halb auf dem Bauch, einen großen Blutfleck am Bein, einen auf der Brust.
Lina blieb wie versteinert am Eingang stehen. Dietrich wollte sie stützen, aber sie machte sich los. Stumm betrachtete sie das blasse Gesicht und griff nach seiner Hand. Sie war eiskalt.
«Robert», sagte sie leise und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Finchen stand da und schluchzte hemmungslos. Sie und Zita klammerten sich aneinander, während Dietrich in einiger Entfernung stand und nicht so recht wusste, was er tun sollte.
«Robert!», schrie Lina, und ihr Schrei schien durch alle Gänge widerzuhallen.
Inspektor Ebel hatte mit seinen Leuten inzwischen alle Mitglieder der Greiferbande gefasst, die sie vom Boot zurück in die Gänge getrieben hatten. Denn Robert Borghoffs Anweisungen hatten besagt, dass sowohl vom Haus in der Schulstraßeals auch von der Altstadt her je ein Mann mit einem Gewehr in die Keller steigen sollte, um den Fliehenden den Weg abzuschneiden.
Nun stand er mit Sergeant Recke und einigen Bürgerwehrmännern im Hauskeller unterhalb des Wienhold’schen Hauses.
«Wir müssen den Commissar suchen», sagte Ebel. Langsam machte er sich Sorgen, dass sein Vorgesetzter bisher noch nicht aufgetaucht war. Auch von Kramer und Schröder fehlte jede Spur.
«Wir schaffen die Diebe gleich ins Gefängnis, das Rathausgewahrsam ist ohnehin zu klein.» Recke ging zur Treppe.
«Helfen Sie ihm besser», sagte Ebel den Bürgerwehrmännern. «Nicht dass uns noch einer ausreißt.»
Er selbst machte sich auf den Weg zum Einstieg in die Tunnel.
Als er kurze Zeit später wieder an die Abzweigung zum Nord-Süd-Gang kam, war dort alles ruhig. Er wollte nach Norden und von dort aus Richtung Altstadt gehen, um nach Commissar Borghoff und den anderen zu suchen. Vorsichtshalber hielt er das Gewehr im Anschlag. Er bog um die Ecke, und im nächsten Moment bekam er einen Schlag auf den Kopf. Um ihn herum wurde alles dunkel.
Ebel wachte wieder auf, weil ihm jemand Wasser ins Gesicht gespritzt hatte. Er erkannte Dr. Demuth.
«Doktor!» Er rieb sich den
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