Das dunkle Netz der Lügen
Kopf. «Habe ich das Ihnen zu verdanken?»
«Nein», sagte Hermann. «Aber ich habe die beiden noch gesehen. Mathis Kellerer und Mina Bleibtreu.»
Ebel sah ihn verständnislos an.
«Mathis Kellerer. Man nennt ihn auch den Greifer. Und die Leute, die Sie heute gefasst haben, das ist die Greiferbande.»
«Und Mina Bleibtreu?»
«Ist seine Geliebte.» Hermann griff nach Ebels Gewehr. «Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss den beiden hinterher.»
«Das muss ich doch auch.»
«Bleiben Sie lieber noch einen Moment liegen. Guter Rat vom Doktor!»
Ebel versuchte tatsächlich aufzustehen, aber ihm war so schwindelig, dass er sich sofort wieder setzte. Außerdem begann es in seinem Kopf zu pochen, als läge er unter dem Hammer eines Walzwerks. Er atmete tief durch. Plötzlich hörte er ganz nah neben sich ein leises Geräusch. Er griff in seine Tasche und fand einen Kerzenstummel. Als er noch tiefer grub, kam auch ein Streichholz zum Vorschein. Er zündete die Kerze an und entdeckte einen Deckelkorb. Und als er ihn öffnete, lag da ein Kindchen, das heftig zu weinen begann.
Ganz vorsichtig nahm er die Kleine hoch, und sie schlang ihre Ärmchen um ihn.
Hermann folgte Mina und Kellerer in einigem Abstand. Sie hatten Licht bei sich, er selbst blieb im Dunkeln, zündete nur manchmal, wenn die beiden weit vor ihm waren, ein Zündholz an – so wie jetzt.
Er fand sich an einem Punkt, von dem mehrere Gänge sternförmig abgingen, und konnte nicht sagen, welchen davon Kellerer und Mina genommen hatten. Lediglich zwei Gänge, die schnurgerade verliefen, kamen nicht in Frage, weil er dort ihr Licht hätte sehen müssen. Das Hölzchen verlosch. Er befühlte die Schachtel, nur noch ein einziges war übrig. Verdammt, dachte er. Nun war er ihnen schon so nahe gewesen, und jetzt stand er wieder ganz am Anfang. Langsam ließ er sich auf den Boden gleiten, das Gewehr behielt er in der Hand. Er verfluchte sich dafür, dass er einfach losgestürmt war, ohne sich mit einer Laterne zu versorgen. Angestrengt horchte er insDunkel und fragte sich, wie er in der völligen Finsternis jemals aus diesem Gewirr von Gängen herausfinden sollte. Neben sich spürte er einen großen Stein auf dem Boden. Er legte ihn links von der nächsten Öffnung hin. Falls der Weg ihn nicht zu einem Ausgang führte, hatte er so den Gang markiert, wenn er zurückkam, und konnte den nächsten versuchen.
Mina und Kellerer hatten einen kleineren Gang genommen, der einen Bogen machte und eine Weile parallel zum Hauptgang verlief. Sie wussten, von hier aus würden sie zum Haus in der Altstadt gelangen. Sie waren schon fast dort, da hörten sie plötzlich einen Schuss und einen Schrei.
«Das kam von vorn. Sie bewachen den Altstadteingang», sagte Kellerer zu Mina. «Wohin jetzt?»
Mina dachte einen Augenblick nach. «Zum Hafen. Dort können wir auch auf ein Boot.»
«Wenn der Ausgang nicht wieder vermauert ist.»
«Mathis, ich bin sechs Jahre nicht hier gewesen. Ich weiß nicht, was sie zugemauert haben und was nicht.»
Kellerer lief los, zurück in den Gang, den sie gekommen waren. Er hielt nur kurz an dem sternförmigen Verteilerpunkt an, um sich zu orientieren. Er wollte schon den nördlichen Gang nehmen, der vermutlich zum Hafen führte, da hörte er einen weitentfernten Schrei.
«Still!», rief er. Er horchte noch einmal.
Mina hatte es auch gehört.
«Lass uns sehen, wer das ist», sagte Mina. «Vielleicht kommen wir mit einer Geisel weiter.»
Sie kamen der Stelle näher, an der sie in den Gang abgebogen waren.
Plötzlich meinte sie ein leises Schluchzen zu vernehmen. Der Gang war leer, aber von einem der abgehenden Kammern drang ein schwacher Lichtschein in den Tunnel.
Sie löschten ihre Lampe und pirschten sich näher heran. Gleich bei der Türöffnung standen zwei Frauen, Mathis erkannte Zita. Er zog ein Messer aus dem Stiefel und reichte es Mina, ein anderes hatte er in der Rechten. Auf sein Zeichen stürzten sie in den Raum.
Lina hörte einen erstickten Schrei, als sie sah, dass Finchen und Zita beide Messer an der Kehle hatten.
«Lass Zita los!», sagte Mina zu Mathis. «Ich glaube nicht, dass meiner Schwester so viel an ihr liegt. Mit Finchen hier ist das etwas ganz anderes.» Sie schob Finchen zu Kellerer, der ihr gleich sein Messer an die Kehle setzte. Ihre Duellpistole hatte sie vor Schreck fallen lassen.
Dietrich richtete sein Gewehr auf Kellerer.
«Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen. Oder willst du, dass ich dem
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