Das dunkle Paradies
wieder am Tisch. In diesem Lokal verdienten sie das Geld mit Getränken. Abby nickte zustimmend, dass sie noch einen wollte und bemerkte, dass Jesse ein weiteres Bier bestellte.
»Ich hätte Sie nie für einen Biertrinker gehalten«, sagte sie.
»Bin ich auch nicht. Ich trinke am liebsten Scotch mit Eis, aber ich wollte mich bei unserem ersten Rendezvous nicht gleich betrinken.«
»Betrinken Sie sich manchmal?«
»Es fällt mir schwer, rechtzeitig aufzuhören.«
»Sie sprechen sehr offen darüber«, stellte Abby fest.
Jesse zuckte mit den Schultern.
»Mir fällt’s auch nicht leicht«, sagte sie.
»Rechtzeitig aufzuhören?«
»Hmhm. Mein Vater war ein Säufer.« Sie lächelte. »Er trank immer nur Bier.«
»Bei uns zu Hause war es meine Mutter.«
»Was hat sie getrunken?«
»Portwein.«
Abby rümpfte die Nase.
»Urgh«, sagte sie.
Die Kellnerin kam zurück und nahm die Essensbestellung auf. Hier draußen auf der Terrasse ging es laut zu. Es waren zumeist junge Männer und Frauen, viele von ihnen aus der gleichen Siedlung, in der auch Jesse wohnte, Singles mit guten Jobs, wohlhabend, durchgestylt und laut. Sie tranken Sachen wie Long Island Iced Tea oder Tequila Sunrise. Als Abby ihn über den Tisch hinweg ansah, kam Jesse ihr wie ein Fels in der Brandung vor oder wie das einzige Boot weit und breit, das einen Anker hat. Er saß vollkommen ruhig da, seine Hände lagen auf der Tischplatte. Wenn er sich bewegte, dann nur, weil er einen Grund dazu hatte, zum Beispiel Bier einschenken, Bier trinken, die Speisekarte in die Hand nehmen. Er verschwendete keine Energie. Sie konnte ihn sich kaum betrunken vorstellen oder gar ohne Selbstkontrolle. Aber es war auch schwierig sich vorzustellen, wie er Jo Jo Genest fertiggemacht hatte. Obwohl ihre offizielle Funktion ihr nahelegte, es zu missbilligen, war sie froh, dass er es getan hatte. Niemand verdiente es mehr, in die Eier getreten zu werden als Jo Jo Genest. Ihr Martini war leer getrunken. Einen würde sie auf jeden Fall noch schaffen. Sie mochte dieses Gefühl von Entspannung und Sicherheit, das die Drinks ihr gaben. Jesse wäre ein interessanter Kandidat fürs Bett, dachte sie. Mal sehen, wie ruhig und beherrscht er dann sein würde.
»Ich werde mir gleich noch einen Martini bestellen«, sagte sie. »Falls Sie Lust auf einen Scotch haben, nur zu. Unsere Karten liegen offen auf dem Tisch. Ich nehme das Risiko auf mich, wenn Sie es auch tun.«
Jesse lächelte und bestellte einen Scotch mit Eis.
»Haben Sie Kinder, Jesse?«
»Nein. Sie?«
»Nein, wir haben es versucht, aber es wurde nichts draus. Ich schätze, ich bin unfruchtbar.«
»Oder er ist es.«
Die Drinks wurden serviert. Jesse konnte kaum einen Seufzer der Erleichterung unterdrücken, als er einen Schluck von seinem Scotch nahm und spürte, wie sich dieses entspannende Gefühl in seinem Körper ausbreitete. Abby lächelte ihn über den Rand ihres Martini-Glases an.
»Auf uns«, sagte sie und hob das Glas. Er stieß mit ihr an. Sie tranken.
»Kann ein Mann denn unfruchtbar sein?«
»Sie meinen, ob es ein Begriff ist, den man auch auf Männer anwenden kann?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht. Aber wenn Sie zusammen keine Kinder bekommen konnten, heißt das noch lange nicht, dass es an Ihnen lag. Haben Sie sich untersuchen lassen?«
»Er hat es abgelehnt.«
Jesse nickte, als ob das etwas bestätigen würde. Irgendetwas ist mit seinen Augen, dachte Abby, das darauf hindeutet, dass er die Welt anders betrachtet und sich dabei amüsiert. Er trug einen blauen Blazer, ein weißes Hemd mit offenem Kragen, und seine Haut war wie die von jemandem, der oft an der frischen Luft ist. Er war glattrasiert, sein dunkles Haar kurzgeschnitten, die Koteletten gerade rasiert.
»Wie lange waren Sie verheiratet?«, fragte sie.
»Fünf Jahre.«
»Was ist passiert?«
»Sie war, ist Schauspielerin. Sie fing an, mit einem Typen zu schlafen, vielleicht auch mit mehreren, die ihr helfen sollten, Karriere zu machen.«
»Haben Sie’s rausgefunden?«
»Zuerst nicht.«
»Sind Sie misstrauisch geworden?«
»Irgendwann schon.«
»Und das war dann das Ende?«
»Ja, so ungefähr.«
»Ungefähr?«
»Na ja, zuerst wollte ich es nicht wahrhaben. Ich habe immer mehr getrunken und schließlich war sie es, die mich verlassen hat. Ich bin bei der Polizei in L.A. rausgeflogen, weil ich getrunken habe. Muss alles in meinen Unterlagen stehen. Ich war auch ganz schön besoffen, als ich das Vorstellungsgespräch hier
Weitere Kostenlose Bücher