Das dunkle Paradies
Ahnung.«
Jesse nickte. »Ist Jo Jo noch mal vorbeigekommen, seit ich mit ihm gesprochen habe?«
»Nein.«
»Wie geht’s den Kindern?«
Carole reagierte nicht.
»Haben Sie mit einem Therapeuten gesprochen?«
»Wie soll ich mir einen Therapeuten leisten?«, fragte sie. »Meine Krankenkasse zahlt hundert Dollar für eine Behandlung. Wissen Sie, wie lange das reicht?«
Jesse nickte. »Wie kommen Sie ansonsten finanziell zurecht?«
Wieder zuckte Carole mit den Schultern. Es war ein ganz bestimmtes Schulterzucken. Jesse hatte es schon oft gesehen. Es war keine Äußerung der Unterwerfungoder des Sich-Ergebens, das war schon lange vorbei. Es war eine Äußerung des Abgestumpftseins. Sie bedeutete, dass es keine Hoffnung gab.
»Haben Sie noch Familie?«
»Meine Mutter ist gestorben. Mein Vater lebt mit meiner Stiefmutter in Florida. Er schickt mir ein bisschen Geld.«
»Wenn Jo Jo nicht zahlt, können Sie ihn vor Gericht bringen.«
»Klar. Und ich muss den Anwalt bezahlen und der Richter wird Jo Jo zum Zahlen verurteilen, und Jo Jo wird nicht zahlen und eventuell später herkommen und mich verprügeln.«
»Ich glaube nicht, dass er das noch mal tun wird.«
»Vielleicht nicht, wenn Sie in der Nähe sind. Seitdem hat er mich nicht mehr belästigt. Aber wie lange werden Sie hierbleiben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wieso hat er überhaupt vor Ihnen Angst?«, fragte sie. »Ich meine, sehen Sie ihn sich doch an. Und sehen Sie sich selbst an. Wieso rächt er sich nicht an Ihnen?«
Jesse warf einen Blick auf den kleinen Jungen, der auf dem Schoß seiner Mutter lag und am Daumen lutschte. Wie viel von dem hier hörte er eigentlich? Wahrscheinlich alles. Wie viel verstand er davon? Wahrscheinlich zu viel. Was konnte Jesse schon dagegen tun?
»Na ja«, sagte er. »Ich bin ein Polizist, ganz gut durchtrainiert und trage eine Waffe bei mir, was am meisten ins Gewicht fällt.«
»Jo Jo hat auch eine Waffe. Er hatte zwei oder drei hier im Haus.«
Jesse nickte.
»Also, woran liegt es?«, fragte Carole.
Jesse sah wieder den Jungen an. Er konnte nichts dagegen tun.
»Jo Jo ist nur ein Angeber«, sagte er. »Nachts, wenn er alleine ist und nicht schlafen kann, wird ihm das manchmal für eine kurze Minute bewusst. Er weiß es. Und er weiß, dass ich es weiß.«
»Nur ein Angeber?«
»Klar. Natürlich ist er stark und gemein. Und das ist selbstverständlich eine üble Kombination. Aber er ist nicht wirklich ein harter Bursche.«
»Aber Sie sind es.«
Jesse lächelte sie an.
»Ja, Ma’am. Ich bin es.«
Der Junge richtete sich auf und flüsterte seiner Mutter etwas ins Ohr.
»Okay«, sagte Carole. »Ich komme mit.«
Sie stand auf.
»Entschuldigen Sie mich eine Minute«, sagte sie zu Jesse und verließ mit ihrem Sohn die Küche.
Für einen Trinker, dachte Jesse, als er allein in der Küche saß, für einen Trinker bin ich ein ziemlich harter Bursche.
Der Fernseher murmelte vor sich hin. Der Wasserhahn in der Küche tropfte langsam. Er fragte sich, ob er undicht war oder ob sie ihn einfach nur nicht richtig zugedreht hatte. Jenn hatte den Wasserhahn so gut wie nie fest zugedreht. Er hatte ihn immer festdrehen müssen, wenn er durch die Küche gegangen war. Sie hatte auch nie die Schranktüren geschlossen. Als sie nichtmehr nach Hause gekommen war, waren alle Sachen plötzlich viel besser verschlossen gewesen.
Carole kam wieder in die Küche zurück. Sie holte ein Eis am Stiel aus dem Eisfach des Kühlschranks, machte das Papier ab und gab dem Jungen das Eis.
»Noch etwas Kaffee?«, fragte sie.
»Gern.«
Jesse hielt die Tasse hoch und Carole schenkte noch etwas aus der runden Glaskanne ein.
»Wann kommt er in die Schule?« Jesse deutete mit dem Kopf auf den Jungen.
»Erst mal nächstes Jahr in den Kindergarten.«
Nichts an dem Jungen deutete darauf hin, dass er wusste, über wen gesprochen wurde. Er saß auf dem Schoß seiner Mutter und leckte das Eis.
»Können Sie sich dann einen Job besorgen?«
Schulterzucken.
»Was haben Sie gemacht, bevor Sie geheiratet haben?«
»High School. Jo Jo hat mir im letzten Jahr ein Kind gemacht. Ich hab keinen Abschluss.«
»Vielleicht könnten Sie ihn nachmachen.«
»Klar.«
»Womit verdient Jo Jo sein Geld?«
Carole zuckte mit den Schultern. »Er macht bei diesen Bodybuilding-Wettkämpfen mit, soweit ich weiß.«
»Kann man denn davon leben?«
Schulterzucken.
»Womit hat er sein Geld verdient, als er dieses Haus hier in bar gekauft hat?«
»Ich weiß es
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