Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
Silbernes, sorgfältig geschnittenes Haar.
Die Männer blickten einander an.
Eine der beiden Frauen stellte ein Glas Mineralwasser vor Nolte auf den Tisch.
Dengler registrierte die hellblauen Augen des Mannes, die in einer durchsichtigen Flüssigkeit zu schwimmen schienen.
»Ich freue mich, dass Sie kommen konnten«, sagte Nolte schließlich.
Dengler nickte. Er wartete.
»Sehen Sie«, Nolte wischte ein imaginäres Staubkorn von der Tischplatte, »in unserer Branche sind Männer mit tadellosem Ruf selten. Und Sie, Dengler, erfreuen sich eines besonderen Rufes. In Wiesbaden erzählt man sich immer noch von Ihren Heldentaten.«
Er will mich mit seinen Beziehungen zum BKA beeindrucken, dachte Dengler.
»Und wir suchen immer gute Leute. Spitzenleute.«
Das Gespräch schien einen guten Verlauf zu nehmen. Trotzdem wartete Dengler weiter ab.
»Aber die Zeiten sind hart, in allen Branchen, auch in unserer«, sagte Nolte.
Er fixierte Dengler.
»Ich habe für Sie nichts zu tun, was Ihrer Qualifikation entspricht«, sagte Nolte, »vielleicht später, aber im Augenblick nicht.«
Nolte schwieg, aber blickte Dengler unverwandt an.
»Dann hat es mich gefreut, Sie kennen zu lernen«, sagte Dengler und erhob sich.
Nolte wedelte mit dem Arm, als wolle er ihn bitten, sich wieder zu setzen.
Dengler blieb stehen.
»Jetzt bleiben Sie doch«, sagte Nolte, »vielleicht kommen wir ja doch zusammen.«
Dengler setzte sich.
»Ich brauche Sicherheitsleute für eine Party. Sehr reiche Leute. Ich kann da keinen der üblichen Verdächtigen hinschicken. Ich brauche Leute, die wissen, wie man etwas Besseres als eine Lederjacke trägt.«
Dengler schwieg.
»Die Kunden sind reich. Aber wie Reiche nun mal sind: sehr sparsam. Ich kann Ihnen nicht mehr als vierzig Euro in der Stunde zahlen.«
»Risiken? Ist der Job gefährlich?«
»Nein. Harmlos. Eine Milliardärsgeburtstagsfeier. Sie gehören als Security gewissermaßen zum Status. Es liegen weder Drohungen noch sonstige sicherheitsrelevante Hinweise vor.«
»Sie bieten mir die Hälfte meines üblichen Stundensatzes an.«
Nolte zuckte mit den Achseln, als täte es ihm Leid. Und wartete.
Er lauert, dachte Dengler.
»Unter einer Bedingung«, sagte Dengler, »ich bringe noch einen Mann mit. Der kostet Sie nichts.«
Nolte schien nachzudenken.
»Einverstanden«, sagte er schließlich, »geben Sie morgen meinem Büro seinen Namen und seine Adresse durch.« Dengler zog ein Formular aus seinem Jackett.
»Das ist ein Ermittlungsauftrag«, sagte er, »wir können ihn jetzt...«
Richard Nolte berührte Dengler leicht am Arm.
»Wir haben unsere eigenen Verträge. Ich werde Ihnen morgen einen davon zustellen lassen.«
Er stand auf.
Auch Dengler erhob sich. Nolte gab ihm die Hand.
Dann ging der Chef von Security Services Nolte & Partners zum nächsten Tisch.
Dengler überlegte einen Augenblick, ob er sich wieder setzen sollte, um den Rest des Rotweins zu trinken.
Aus einer hinteren Ecke winkte ihm Rümmlin zu. Dengler ging zum Ausgang und nahm seinen alten Regenschirm aus dem Schirmständer.
Zwei beschissene Jobs an einem Abend, dachte er. Draußen regnete es immer noch.
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6. Olga saß an dem großen Tisch
Olga saß an dem großen Tisch unter dem Spiegel. Neben ihr strahlte Martin Klein, eine Flasche Weißwein in der Hand, und füllte ihr Glas nach. Georg Dengler blieb an der Tür des Basta stehen und betrachtete sie. Sie war schöner denn je. Die roten Haare loderten bis auf die Schultern. Wenn sie den Kopf zurückwarf und über eine Bemerkung von Martin lachte, sah er ihre Zähne, die weiß und ebenmäßig gewachsen waren wie bei einer Schauspielerin.
Als Olga ihn sah, stand sie auf und winkte ihm zu. Mit einer triumphierenden Geste reckte sie die rechte Hand in die Luft. Sie zwängte sich an den beiden Männern vorbei, die neben ihr gesessen hatten, und kam strahlend auf ihn zu.
»Georg, schau!«
Sie fuchtelte mit ihrer rechten Hand vor seinem Gesicht. Sie bewegte dabei jeden einzelnen Finger.
»Alles ist wieder, wie es sein soll«, jubelte sie leise.
Georg Dengler nahm ihre Hand, legte sie in die seine und betrachtete sie. Ihr Zeigefinger war immer noch genauso lang wie der Mittelfinger, der daneben in seiner Handfläche ruhte.
Ein Onkel hatte Olga, als sie ein kleines Mädchen war, während ihrer Wachstumsphase den Zeigefinger gestreckt. Millimeter für Millimeter wurde er gedehnt und gespannt, wurde länger, als er hätte sein dürfen, bis er gleich groß war
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