Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
Familie Roth?«
Hedwig Weisskopf nickte.
»Ihnen gehört das Hotel heute«, sagte Dengler, »Kurt Roth kennen Sie sicher schon sehr lange.«
»Den kleinen Kurt habe ich schon ewig nicht mehr gesehen«, sagte sie.
»Er hat das Hotel 1947 erworben. Da war er noch ein Kind«, fügte er hinzu, mit beiläufigem Unterton, als referiere er nur bisher ermittelte Informationen.
Sie schwieg.
Dengler spürte, wie sich die Frau ihm entzog.
»Wissen Sie, warum er das Hotel bekam?«, fragte er.
Die Frau sah ihn an.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich will jetzt gehen«, sagte sie.
Sie stand auf und lief mit kleinen trippelnden Schritten auf eine der beiden Treppen zu, die in den Lichthof mündeten.
* * *
»Opa, da ist jemand von der Zeitung für dich«, schrie ein etwa zehnjähriger Junge von der Haustür ins Wohnungsinnere. Ein kleiner, etwa achtzigjähriger Mann trat in den Flur. Mit der Rechten stützte er sich auf einen Stock. Bei jedem Schritt schwenkte sein linkes Bein aus und beschrieb einen kleinen Halbkreis. Erst dann setzte er es auf dem Boden auf. Dadurch ging der Mann leicht nach rechts gebeugt. Er schob den Jungen zur Seite.
»Um was geht's?«, fragte der alte Mann.
Dengler wiederholte seine Legende.
Der Mann überlegte einen Augenblick.
Dann drehte er sich um und winkte ihn herein.
»Kommen Sie«, sagte er und schlurfte in die Küche.
Dengler folgte ihm.
Auf dem Küchentisch lag eine aufgeschlagene Zeitung mit dem Kreuzworträtsel, dessen Kästchen zur Hälfte ausgefüllt waren. Ein Kugelschreiber lag auf dem Tisch und in der Mitte stand ein überquellender Aschenbecher. Daneben zwei Schachteln Ernte 23.
Dengler setzte sich.
Der Mann rief laut: »Petra!«
Nach einer Weile wiederholte er den Ruf, diesmal lauter. Dengler hörte, wie jemand geräuschvoll die Treppe zum ersten Stock herunterlief, und eine Frau – Dengler schätzte sie auf Mitte dreißig – betrat die Küche. Ohne Gruß. Sie leerte den Aschenbecher und wischte mit einem feuchten grünen Tuch kurz über den Tisch.
»Mach uns einen Kaffee«, sagte der alte Mann zu ihr, »der Herr hier ist von der Zeitung.«
Nun erst sah sie Dengler an und brummelte ein knappes »Grüß Gott«. Dann ließ sie Wasser in eine kleine Kaffeemaschine laufen, ersetzte den gebrauchten Filter durch einen neuen, füllte Pulver hinein und knipste den Schalter der Maschine an. Sofort gab das Gerät gurgelnde Geräusche von sich. Die Frau stellte zwei Tassen mit Untertassen auf den Tisch, öffnete eine Schublade, kramte zwei Löffel hervor und legte sie neben die Tassen.
»Ich geh dann wieder nach oben«, sagte sie unwirsch.
Der zehnjährige Junge stand währenddessen an den Türpfosten gelehnt und beobachtete, was in der Küche geschah. Auf einen Wink des Alten kam er zu ihm hin und setzte sich neben ihn auf die Küchenbank. Der Alte steckte sich eine Zigarette an, wartete und beobachtete, wie sich die Glaskanne unter der kleinen Kaffeemaschine rasch füllte.
Dengler wurde unruhig. Er zog die Liste mit den Namen aus seiner Brieftasche und notierte hinter Hedwig Weisskopf erst ein Häkchen, dann ein Fragezeichen.
»Was wollen Sie denn wissen?«, fragte der Alte plötzlich, und ebenso unvermittelt schrie er wieder in Richtung Tür: »Petra!«
Die Frau polterte erneut die Treppe hinunter. Sie füllte die Tassen, goss den Rest in eine Thermoskanne, die sie auf den Tisch knallte, nahm aus dem Kühlschrank einige kleine runde Kunststoffdöschen mit Kaffeemilch, legte sie auf den Tisch und verließ die Küche.
Dengler riss die Stanniolfolie von einem der Kaffeemilch-Behälter ab und goss den Inhalt in seine Tasse. Das waren die gleichen Portionsbehälter, wie Dengler an der Aufschrift »Gehring Verpackungsmaschinen GmbH« feststelle, die seine Mutter in der Pension benutzte. Heute Morgen hatte er noch nicht in der Klinik angerufen.
Dengler sah auf und blickte den Alten an. Er entschloss sich für den direkten Weg.
»Ich suche Informationen über Volker Sternberg.«
»Volker Sternberg«, sagte der alte Mann und rührte im Kaffee.
»Sie kannten ihn sicher«, sagte Dengler. »Mochten Sie ihn?« Der Alte rührte weiter in seinem Kaffee.
»Volker war ein guter Kerl«, sagte er schließlich, »egal, was andere über ihn sagen: Er war ein guter Kerl.«
Dengler schoss einen Pfeil ins Unbekannte: »In dieser Richtung möchte ich den Artikel auch schreiben. Ich möchte endlich mal seine Verdienste hervorheben.«
Der Alte sah ihn über den Tisch hinweg an.
»Er hat
Weitere Kostenlose Bücher