Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
Augen strahlten plötzlich. Maria Roth war an ihren Tisch getreten und fragte Dengler nach seiner Bestellung. Er orderte eine Portion Spießbraten und ein Glas Mineralwasser. Sie notierte seine Wünsche und ging sofort.
»Verständlich, dass sie sauer ist«, sagte Dengler, »wir beide müssen für die Familie Roth wie eine Provokation wirken.« Während des Essens sagte Sternberg kein Wort. Hin und wieder sah er zu Maria Roth, die die beiden Männer jedoch ignorierte.
»Ich lade Sie ein«, sagte Sternberg, nachdem Dengler Messer und Gabel beiseite gelegt hatte, und winkte Maria an den Tisch.
Sie kassierte und setzte sich plötzlich.
»Warum lassen Sie uns nicht endlich in Ruhe?«, fragte sie.
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30. Auf einem Leiterwagen
Auf einem Leiterwagen brachte Albert Roth die Leichen seiner Schwiegereltern nach Gündlingen. Er hatte sie sorgfältig mit zwei Decken zugedeckt. Zweimal musste er sich vor Tieffliegern verstecken. Nach vier Stunden kam er in Gündlingen an.
Drei Tage später begruben er und seine Frau die beiden alten Leute auf dem Gündlinger Kirchacker. Er hatte die beiden Särge aus Latten zusammennageln müssen, die er aus ihrem Gartenzaun herausriss. Särge waren Mangelware seit der Vernichtung von Bruchsal. Seine Frau hielt den Sohn an der Hand und schluchzte laut, wegen des Verlustes ihrer Eltern, aber auch, weil sie sich keine angemessene Beerdigung leisten konnte.
Während der Pfarrer davon sprach, dass den Seligen das Himmelreich gehöre, flog ein viele hundert Fliegende Festungen umfassender Bomberstrom über sie hinweg in Richtung Stuttgart, und die amerikanische Artillerie wummerte von der nahe gelegenen Front her. In den Radionachrichten hatte Roth gestern gehört, dass die Amerikaner auf der rechten Rheinseite »nur einen schmalen« Brückenkopf bei Remagen eingerichtet hatten.
Hoffentlich ist der Albtraum bald vorüber, dachte er.
Er trug immer noch die Wehrmachtsuniform. Bei den Kämpfen in der Eifel hatte ihn ein Querschläger in die rechte Wade getroffen. Trotzdem sollte er in wenigen Tagen zur Truppe zurück.
Er würde es nicht tun.
Mit Edith hatte er über seinen Plan noch nicht gesprochen. In der Pfalz würde er in der Mausefalle sitzen.
Ich gehe nicht zurück.
Er konnte sich bei der »Kampfgruppe Kullmann« melden, die hinter dem Schloss lag und Bruchsal verteidigen sollte. Dann würde er aber gegen die anrückenden Amerikaner kämpfen müssen.
Auch das würde er nicht tun.
Oder er könnte sich dem Gündlinger Volkssturm anschließen.
Und sich irgendwie durchmogeln, bis alles vorbei war.
Was sollte der Volkssturm schon ausrichten.
Dort würden sicher einige so denken wie er.
Während der Pfarrer die Toten segnete und die beiden armseligen Särge mit Weihwasser besprengte, fasste Albert Roth den Entschluss: Er würde sich beim Volkssturm melden.
* * *
1931 hatte Albert Roth Edith Bender geheiratet, die Tochter des Bruchsaler Juweliers Bender. Roth stammte aus Idar-Oberstein an der Nahe, war Edelsteingraveur und hatte seinen Beruf bei Groß & Quenzer gelernt, einer der größeren Edelsteinschleifereien seiner Heimatstadt. Da er die meisten Steine für die Benders schliff, viele Achate, einige Topase, aber auch Smaragde, kam es vor, dass er hin und wieder die Ware in Bruchsal selbst auslieferte. Eine Zeit lang ging er sogar mit einem Bruchsaler Mädchen. Ihr graviere er eine wunderschöne Gemme.
Wenn er nach Bruchsal kam, blieb er meist über Nacht, und die Benders reservierten ihm ein Zimmer im ersten Stock ihres Hauses. Bei diesen Besuchen lernte er Edith kennen, ihre Tochter.
Nachdem sie geheiratet hatten, fand er in Idar eine kleine Zweizimmerwohnung in der Hauptstraße, die nun Adolf-Hitler-Straße hieß. Hier kam ihr Sohn Kurt zur Welt.
Im Juni 1933, kaum ein Vierteljahr nach der Machtübernahme Adolf Hitlers, war nachmittags ein Meister zu ihm gekommen und sagte, er solle gleich hinüber zum Wirtshaus Dreher kommen, da sei etwas los. Da der Meister auch die anderen Schleifer von Groß & Quenzer dorthin schickte, musste es eine dienstliche Anweisung sein.
Dachte er.
Albert Roth stellte die Schleifscheibe ab und zog seinen Kittel aus. Es war erst zwei Uhr nachmittags, die Mittagspause gerade vorbei, also musste tatsächlich etwas Besonderes vorgefallen sein.
Jeder wusste, dass sich die SS bei Dreher traf. Aber auch die Fachgruppe der Schleifer innerhalb der NSDAP traf sich dort.
Es waren nur wenige Schritte, aber sobald er aus dem Tor der Firma trat, sah
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