Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
er schon andere die Straße hinaufeilen. Vor dem Lokal herrschte Volksfeststimmung. Bierkrüge kreisten. Es waren mehr als hundert Menschen, die dort herumstanden.
»Sie haben den Aronheim«, sagte einer zu ihm und wies auf die Eingangstür.
Zwei SS-Leute standen davor.
Den Effgen haben sie auch, sagte ein anderer.
Roth verstand.
Walter Aronheim war Jude. Richard Effgen war Sozialdemokrat und Mitglied im Reichsbanner. Beide besaßen sie eine kleine Schleiferei wie viele andere in Idar.
»Gebt den Juden raus!«
Die ersten Sprechchöre formierten sich.
»Hängt ihn auf«, schrien welche dazwischen.
Jemand knuffte Albert Roth in die Seite. Er sah in ein gerötetes bierseeliges Gesicht.
»Sie haben den Juden«, sagte das Gesicht lachend und wies auf die Eingangstür vom Dreher.
»Und einen Sozi«, sagte der Mann daneben. Auch sein Gesicht leuchtete.
Albert Roth wandte sich ab.
Vielleicht hätte er sich eine Arbeit in Oberstein suchen sollen. In Idar hatten die Nazis schon früh die Mehrheit bekommen. In dem Land Oldenburg, zu dem die Städte Idar und Oberstein gehörten, hatte die NSDAP nach den Landtagswahlen am 25. Mai 1932 die Mehrheit übernommen – zum ersten Mal in Deutschland.
Roth war in Oberstein aufgewachsen. Im Unterschied zu Idar mit seinen unzähligen kleinen Schleifereien gab es hier einige mittlere und größere Fabriken. Betriebe wie Groß & Quenzer. Die Arbeiter wählten mehrheitlich Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Nazis bekamen in Oberstein keinen Fuß auf den Boden.
In zwei Monaten würde Roth seinen 23. Geburtstag feiern. Zweimal hatte er bei Reichstagswahlen wählen können, und beide Mal hatte er links gewählt, beide Male die Sozialdemokraten. Er erinnerte sich noch gut, wie die Nazis vor zwei Jahren im September 1931 in seiner Heimatstadt ihre »Gautagung« abgehalten hatten. Sie waren nicht nach Idar gegangen, wo sie schon die Mehrheit hatten, sondern sie wollten das »rote« Oberstein brechen.
Durch die 11 000 Einwohner große Stadt zogen damals 5000 uniformierte Nazis. Wen diese Horden auf der Straße erwischten, der musste »Heil Hitler« schreien oder wurde zusammengeschlagen. Die meisten Bewohner schlossen sich an diesen beiden Tagen zu Hause ein. Einige Idarer Nazis bildeten mit ihren braunen Kumpels Stoßtrupps und suchten die Kneipen auf. Im Wirtshaus Wenzel, wo sich die Kommunisten meistens trafen, weigerten sich die Gäste, die SA-Patrouille mit »Heil Hitler« zu grüßen. Sofort hieß es »Spaten raus!« Die Nazis schlugen auf die an den Tischen sitzenden Männer ein und demolierten das Lokal.
Die Braunen sind immer stark, wenn sie in der Überzahl sind, dachte Roth, eigentlich nur dann. Und er beobachtete angewidert die johlende Menge vor dem Wirtshaus Dreher.
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31. Dengler betrachtete Sternbergs Gesicht
Dengler betrachtete Sternbergs Gesicht.
Der Mann öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne ein Wort zu sagen.
»Warum lassen Sie uns nicht einfach in Ruhe?«, wiederholte Maria Roth.
Sie sah Sternberg an. Dengler würdigte sie keines Blickes.
»Sie wollen unser Haus. Hab ich Recht?«, sagte sie. Sternberg ruderte mit den Armen, sein Gesicht war tiefrot, und er rang nach Worten.
»Nein«, brachte er schließlich heraus.
Und dann: »Wir wollten doch nur ..«
»Zahlen«, sagte Dengler und stand auf.
Maria sah Robert Sternberg immer noch an, und Dengler begriff, dass er sich nicht entscheiden konnte, aufzustehen.
Er zog ihn am Arm hoch.
»Sie haben das nicht richtig verstanden«, sagte Sternberg zu Maria, die sitzen blieb.
»Tatsächlich?«
Dengler zog ihn zum Ausgang und durch die Tür. Draußen atmete Sternberg tief durch.
Sie gingen zum Wagen. Unterwegs rutschte Sternberg im Schnee aus, Dengler fing ihn auf.
»Kommen Sie. Wir fahren in die Firma. Wir müssen reden.«
* * *
s
Eine Dreiviertelstunde später saßen sie am Tisch in Ilona Sternbergs Büro.
Die Sekretärin, Frau Howling, trug heute ein dunkelblaues Kostüm. Sie lächelte Dengler an, als sie einen doppelten Espresso vor ihm auf den Tisch stellte. Daneben platzierte sie ein silbernes Kännchen mit warmer Milch. Er lächelte zurück.
Dazu stellte sie einen großen Teller mit fünf Butterbrezeln und einen kleinen Stapel Servietten.
Als sie den Raum verlassen hatte, sagte Robert Sternberg: »Ilona, warum brauchen wir das Hotel?« Sie sah ihren Bruder an.
»Wie meinst du das?«, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
Er schwitzte.
»Ich meine ... da wohnen Leute
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