Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
irgendjemand aus der Verwandtschaft, Nachbarn – niemand hat auch nur einen Ton zu Ihnen gesagt?«
»Niemand.«
»Sie wissen, wie unwahrscheinlich das klingt.« Sie klang verärgert.
»Ich versichere Ihnen: Wenn ich darüber Bescheid wüsste, würde ich Sie nicht dafür bezahlen, es herauszufinden.«
Einen Moment lang war Dengler perplex. Er kam sich wie ein Idiot vor.
»Gibt es in Ihrer Verwandtschaft, in Ihrer Nachbarschaft jemanden, den ich befragen kann?«
»Sie meinen Augenzeugen?«
»Kennen Sie Personen aus Ihrem Umfeld, die 1947 älter als fünfzehn Jahre alt waren? Vielleicht auch ehemalige Nachbarn, die dann weggezogen sind?«
»Darüber müsste ich nachdenken.«
»Bitte tun Sie das, und beziehen Sie Ihren Bruder ein. Ich hätte auch gerne eine Liste ehemaliger Mitarbeiter Ihres Großvaters. Sofern diese noch leben.«
»Geht in Ordnung.«
Ihre Stimme klang etwas gedehnt, als würde sie nebenher etwas auf einem Zettel notieren.
»Das ist vorerst alles.«
»Ich rufe Sie an, wenn ich etwas weiß.«
Dengler legte auf.
Er ging in die Küche und füllte frisches Espressopulver in die Maschine. Wenige Minuten später strömte kräftiger schwarzer Kaffee in seine Tasse.
Er sah auf die Uhr.
Dann rief er im Krankenhaus an.
Seiner Mutter ging es besser, sagte ihm die Schwester der Intensivstation. Im Augenblick schläft sie. Sie brauche sehr viel Ruhe. Dengler bat die Schwester, sobald seine Mutter telefonieren könne, ihr ein Telefon zur Verfügung zu stellen. Sie versprach es.
Draußen lagen mehrere Zentimeter Schnee auf Bürgersteig und Straße. Vor der Galerie mit den afrikanischen Exponaten schaufelte ein alter Mann müde den Schnee beiseite.
Dengler stellte das Telefon auf sein Funktelefon um, zog seine Winterjacke an und verließ das Haus.
* * *
Zur Landesbibliothek waren es nur ein paar Minuten Fußweg. Doch es herrschte eine eisige Kälte. Als er auf der anderen Seite der Charlottenstraße ankam und das Foyer der Landesbibliothek betrat, massierte er Ohren und Nasenspitze, so sehr hatte die Kälte ihnen mitgespielt.
An der Garderobe gab er seine Jacke ab und stieg die Treppe empor zum Lesesaal. Er erinnerte sich, wie er hier in den Zeitschriften und Zeitungen nach Fakten über den Absturz der Lauda-Air gesucht hatte, in der laut der Passagierliste Christiane Steins Vater gesessen haben sollte.
Christiane. Für einen Moment überwältigte ihn eine Schwermut, derart heftig, dass ihm alles sinnlos erschien und er sofort wieder seine Schritte in Richtung Ausgang lenken wollte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Die Bibliotheksaufsicht, eine grauhaarige ältere Dame, stand neben ihm und blickte ihn freundlich an. Dengler atmete tief durch.
»Danke, ich will nur etwas nachschauen auf den Regionalseiten der Tageszeitungen; in den Ausgaben der letzten Tage.« Die Badischen Neuesten Nachrichten fand er neben den anderen Zeitungen in einem speziellen Regal. Dort lagen die Ausgaben der letzten vierzehn Tage. Er blätterte sie durch, fand aber nicht, was er suchte. Er ging zum Schalter im Lesesaal und trug der freundlichen grauhaarigen Frau sein Anliegen vor. Eine halbe Stunde später brachte sie ihm auf einem Karren drei Jahrgänge der Zeitung. Er setzte sich an einen der Arbeitstische und blätterte die erste Zeitung durch.
Nichts.
Dengler blieb bis zum frühen Abend in der Bibliothek. Als er die Zeitungen der grauhaarigen Frau zurückgab, hatte er auf einem DIN-A-4-Zettel vier Namen notiert. Er hatte Bekanntmachungen gesucht, in denen Einwohner von Gündlingen geehrt wurden, weil sie soeben 75, 80, 85 oder sogar 90 Jahre alt geworden waren.
In seinem Büro rief er über das Internet das Telefonbuch auf und fand zu allen Jubilaren, deren Namen er eingab, die Adressenangaben.
Morgen würde er sie aufsuchen.
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27. Blackmore verließ den Absturzort
Blackmore verließ den Absturzort. Die beiden Buben würden die Wehrmacht oder die deutsche Polizei benachrichtigen. Bald würde es hier vor Krauts nur so wimmeln. Er brauchte einen ruhigen Platz, um das Kartenmaterial zu studieren.
Außerdem wurde es langsam dunkel. Auch wenn der 1. März 1945 ein warmer Frühlingstag gewesen war, die Nacht würde kalt werden, und er brauchte einen Platz zum Schlafen. Im Laufschritt rannte er durch den Wald zurück hinunter an den Fluss.
Hinter einem Brombeerbusch hockte er sich auf die Fersen und studierte die Karten.
Bruchsal lag im Süden Deutschlands zwischen zwei größeren Städten, zwischen Mannheim
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