Das Echo aller Furcht
bewältigen zu können – aber nein, er hatte den steinigsten Pfad gewählt. Er hatte sich vorgenommen, eine Nation zu gründen, seinem Volk eine Heimat zu schaffen, ihnen die Menschenwürde zurückzugeben. Er hatte sein Volk führen und die Eindringlinge schlagen wollen.
Um unvergessen zu bleiben.
Das war sein sehnlichster Wunsch. Ungerechtigkeit stach jedem ins Auge, aber wer sie beseitigte, ging in die Geschichte ein, wenn auch nur als Nebenfigur, als Vater einer kleinen Nation ...
Stimmt nicht, gestand Kati. Wer das erreichen wollte, mußte den Großmächten trotzen, den Amerikanern und Europäern, die sein uraltes Heimatland mit ihren Vorurteilen geprägt hatten. Wer dieses Unrecht beseitigte, zählte zu den großen Gestalten der Geschichte. Doch wessen Taten würden nun in Erinnerung bleiben? Wer hatte wen besiegt, wer hatte was erobert?
Das darf nicht sein, sagte sich der Kommandant. Aber sein Magen krampfte sich erneut zusammen, als er den trockenen, präzisen Vertragstext las. War es möglich, daß sich die Palästinenser, sein edles, unerschrockenes Volk, von dieser Infamie hatten verführen lassen?
Kati stand auf und eilte ins Bad. Als er sich erbrach, fand sein Verstand eine Antwort auf die Frage. Nach einer Weile richtete er sich auf und spülte den Mund aus. Ein anderer, bitterer Geschmack aber wollte nicht weichen.
Auf der anderen Straßenseite hörte Günther Bock in einem Haus, das ebenfalls der Organisation gehörte, die Nachrichten der Deutschen Welle. Bock war zwar Internationalist und nun auch Emigrant, verstand sich aber nach wie vor und an erster Stelle als Deutscher, wenn auch ein revolutionärer und sozialistischer. Das Wetter in der Heimat war heute wieder warm und trocken gewesen; ein schöner Tag also, um Petra an die Hand zu nehmen und einen Spaziergang am Rhein zu machen ...
Bei der Kurzmeldung blieb ihm fast das Herz stehen. »... die Terroristin Petra Hassler-Bock wurde heute in ihrer Zelle erhängt aufgefunden. Hassler-Bock, verheiratet mit dem flüchtigen RAF-Mitglied Günther Bock, wurde wegen des brutalen Mords an Wilhelm Manstein zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie war achtunddreißig Jahre alt.
Zum Fußball: Dresdens unaufhaltsamer Aufstieg geht weiter. Unter Mannschaftskapitän Willi Scheer ...«
Bock saß in dem dunklen Zimmer, und seine Augen weiteten sich. Da er noch nicht einmal den Anblick der Leuchtskala des Kurzwellenempfängers ertragen konnte, starrte er zum Fenster hinaus in die sternhelle Nacht.
Petra tot?
Er wußte, daß es wahr war, er redete sich nichts ein. Es war zu wahrscheinlich. . . ja unvermeidlich. »Erhängt aufgefunden!« Natürlich, ein vorgetäuschter Selbstmord wie im Fall der drei Baader-Meinhof-Mitglieder; eines hatte sich angeblich sogar dreimal in den Kopf geschossen.
Sie hatten seine Frau ermordet. Seine schöne Petra war tot. Sein bester Kamerad, seine treueste Genossin, seine Liebe. Tot. Günther war überrascht, wie schwer die Nachricht ihn traf. Was hätte er auch anderes erwarten sollen? Man mußte sie ja aus dem Weg räumen. Sie war ein Bindeglied zur Vergangenheit und auch eine potentiell gefährliche Symbolgestalt für Deutschlands sozialistische Zukunft. Der Mord an ihr diente zur weiteren politischen Stabilisierung des neuen Deutschlands, des Vierten Reiches.
»Petra«, flüsterte er. Sie war mehr als eine politische Figur gewesen, mehr als eine Revolutionärin. Er erinnerte sich an jede Kontur ihres Gesichts, jede Kurve ihrer mädchenhaften Figur. Er dachte an die Stunden, die er auf die Geburt ihrer Kinder wartend verbracht hatte, und an Petras Lächeln danach. Auch von Erika und Ursel war er nun getrennt; es schien, als seien auch sie tot.
Bock ertrug die Einsamkeit nicht mehr. Er zog sich an und ging über die Straße. Kati war, wie er zu seiner Erleichterung feststellte, noch wach, sah aber sehr schlecht aus.
»Was ist, mein Freund?« fragte der Kommandant.
»Petra ist tot.«
Katis Miene zeigte echten Schmerz. »Was ist geschehen?«
»Es heißt, sie sei erhängt in ihrer Zelle gefunden worden.« Meine Petra, dachte Bock, und der Schock setzte erst jetzt ein, aufgehängt an ihrem anmutigen Hals. Die Vorstellung war unerträglich. Zusammen mit Petra hatte er einen Klassenfeind auf diese Weise hingerichtet und zugesehen, wie das Gesicht erst bleich und dann dunkler wurde, bis ...
Grauenhaft. Er durfte sich Petra so nicht vorstellen.
Kati senkte betrübt den Kopf. »Möge Allah unserer
Weitere Kostenlose Bücher