Das Echo aller Furcht
noch ungeklärt?«
»Korrekt – möglicherweise korrekt«, verbesserte sich der Wissenschaftler.
»Wahrscheinlich?« Als zöge man einem Kind ein Geständnis aus der Nase, dachte der Erste Stellvertretende Vorsitzende.
»Da. Angesichts der Anweisungen, die die deutschen Kollegen von Honekker erhielten, hätte ich auch so gehandelt. Überdies war die Aufgabe technisch recht einfach zu lösen. Die Reaktortechnologie hatten sie ja von uns.«
»Was haben wir uns dabei bloß gedacht!« murmelte Golowko halblaut.
»Tja, mit China haben wir denselben Fehler begangen.«
»Hat denn niemand...« setzte Golowko an, aber der Physiker unterbrach ihn.
»Warnungen gab es genug, aus meinem Institut und aus dem in Kyschtym, aber niemand hat darauf gehört. Man hielt es für politisch zweckdienlich, unseren Verbündeten diese Technologie zugänglich zu machen.« Das Wort »Verbündete« kam ohne sarkastischen Unterton heraus.
»Und Sie sind der Ansicht, daß wir etwas unternehmen sollen?«
»Wir könnten unsere Kollegen im Außenministerium um Intervention bitten, aber ich glaube, daß energischere Schritte nötig sind. Deshalb wandte ich mich an Sie.«
»Sie nehmen also an, daß die Deutschen – das neue Deutschland, meine ich – über einen Vorrat an spaltbarem Material und dieses Tritium verfügen und ein eigenes Atomwaffenarsenal herstellen können.«
»Eine reale Möglichkeit. Es gibt, wie Sie wissen, eine beträchtliche Anzahl von deutschen Kernphysikern, die im Augenblick vorwiegend in Südafrika arbeiten; für sie die beste aller Welten. Sie arbeiten zwölftausend Kilometer von der Heimat entfernt an einem Kernwaffenprogramm, lernen dort dazu und stehen auf der Gehaltsliste eines anderen Landes. Sollte das wirklich der Fall sein, stellt sich die Frage, ob wir es nur mit einem kommerziellen Unterfangen zu tun haben. Ich halte das für möglich, wahrscheinlicher aber ist, daß die Bundesregierung von dieser Affäre weiß. Und da sie keine Gegenmaßnahmen ergriffen hat, muß man davon ausgehen, daß sie diese Aktivitäten billigt. Die wahrscheinlichste Erklärung für dieses stillschweigende Einverständnis wäre die Absicht, die erworbenen Kenntnisse bei der Verfolgung ihrer nationalen Interessen einzusetzen.«
Golowko runzelte die Stirn. Sein Besucher hatte gerade drei Möglichkeiten miteinander zu einer Bedrohung verflochten. Er dachte wie ein ganz besonders argwöhnischer Geheimdienstoffizier.
»Haben Sie weitere Informationen?«
»Die Namen von dreißig Verdachtspersonen.« Er reichte eine Akte über den Tisch. »Wir sprachen mit unseren Leuten, die den Deutschen beim Bau der Anlage Greifswald halfen. Aufgrund ihrer Erinnerungen haben diese Personen am wahrscheinlichsten an dem Atomwaffenprogramm mitgearbeitet. Ein halbes Dutzend davon gilt als hochqualifiziert und gut genug, um auch bei uns in Sarowa zu forschen.«
»Hat einer von ihnen auffällige Erkundigungen...«
»Nein, und das ist auch nicht erforderlich. Physik ist Physik, Kernspaltung ist Kernspaltung. Naturgesetze lassen sich nicht geheimhalten, und damit haben wir es hier zu tun. Wenn diese Leute einen Reaktor betreiben können, sind die Besten unter ihnen in der Lage, aus dem notwendigen Material Kernwaffen zu bauen – und unser Reaktortyp gab ihnen die Fähigkeit, das erforderliche Material zu produzieren. Um diese Sache sollten Sie sich kümmern und feststellen, was die Deutschen treiben, und über was sie noch verfügen. Das jedenfalls ist mein Rat.«
»Ich habe ein paar sehr gute Leute im Direktorat T des Ersten Hauptdirektorats«, sagte Golowko. »Nachdem wir Ihre Informationen verdaut haben, werden einige bei Ihnen vorsprechen.« Sarowa war nur wenige Zugstunden von Moskau entfernt.
»Ja, ich habe mit Technologieexperten vom KGB gesprochen. Sehr tüchtige Leute. Hoffentlich haben Sie noch gute Kontakte in Deutschland.«
Darauf gab Golowko keine Antwort. Agenten hatte er genug in dem Land, aber wie viele waren umgedreht worden? Er hatte erst kürzlich die Zuverlässigkeit seiner Infiltratoren in der Stasi prüfen lassen und war zu dem Schluß gelangt, daß keinem mehr zu trauen war – besser gesagt, daß alle Vertrauenswürdigen nicht mehr in nützlichen Positionen saßen, und selbst diese... In diesem Augenblick beschloß er, die Operation nur von Russen ausführen zu lassen. »Wie lange würden sie zur Waffenherstellung brauchen, wenn sie das Material hätten?«
»Angesichts ihrer technischen Fähigkeiten und der Tatsache, daß
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