Das Echo aller Furcht
behielt. »Ich habe die Berechnungen selbst ausgeführt. Es ist zwar theoretisch möglich, daß sie mehr hergestellt haben, aber was man uns aushändigte, ist geringfügig mehr als die Menge an Pu239, die ähnliche Reaktoren hier bei uns produzieren. Ich glaube also, daß wir den Gesamtvorrat haben.«
»Das habe ich alles gelesen. Warum sind Sie jetzt hier?«
»Weil die Verfasser der ersten Studie etwas übersehen haben.«
»Und was wäre das?« fragte der Erste Stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Staatssicherheit.
»Tritium.«
»Helfen Sie meinem Gedächtnis nach.« Golowko war ein erfahrener Diplomat und Nachrichtendienstler, aber kein Kernphysiker.
Der Experte aus Sarowa hatte schon seit Jahren nicht mehr über die Grundlagen der Physik referiert. »Die Zusammensetzung des Wasserstoffatoms ist ganz simpel: ein positiv geladenes Proton, ein negativ geladenes Elektron. Fügt man ein Neutron hinzu, das keine elektrische Ladung hat, erhält man Deuterium oder schweren Wasserstoff. Ein weiteres Neutron ergibt Tritium, auch überschwerer Wasserstoff genannt, mit der Massenzahl drei. Ganz einfach dargestellt: Neutronen bilden die Grundlage von Kernwaffen. Befreit man sie aus dem Verbund mit dem Wasserstoffatom, werden sie abgestrahlt, bombardieren andere Atomkerne und setzen weitere Neutronen frei. Dies führt zu einer Kettenreaktion, bei der gewaltige Energien frei werden. Tritium ist nützlich, weil das Wasserstoffatom normalerweise überhaupt keine Neutronen enthält. Es ist auch instabil und zerfällt innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Seine Halbwertzeit beträgt 12,3 Jahre«, erklärte er. »Bringt man also Tritium in eine konventionelle Atombombe ein, beschleunigen oder verstärken die zusätzlichen Neutronen den Spaltungsprozeß in der Reaktionsmasse Plutonium oder Uran um einen Faktor von vierzig bis fünfzig, was eine wesentlich bessere Ausnutzung schweren spaltbaren Materials wie Plutonium oder angereichertem Uran ermöglicht. Außerdem setzt eine in Relation zur Ladung entsprechend positionierte Tritiummenge – in diesem Fall als ›Primärladung‹ bezeichnet – den Spaltungsprozeß in Gang. Dies kann natürlich auch mit anderen Methoden erreicht werden. Zu bevorzugen wären Lithiumdeuterid oder Lithiumhydrid, die stabiler sind, aber Tritium hat nach wie vor seine Anwendung bei bestimmten Waffen.«
»Und wie stellt man Tritium her?«
»Indem man Lithium-Aluminium in einem Reaktor der Neutronenbestrahlung aussetzt. Das Tritium bildet sich dann in Form kleiner, facettierter Blasen im Metall. Meiner Meinung nach haben die Deutschen in Greifswald auch Tritium produziert.«
»Wirklich? Welche Beweise haben Sie?«
»Wir analysierten das Plutonium, das man uns übergab. Plutonium hat zwei Isotope, Pu239 und Pu240. Aus ihrem relativen Mengenverhältnis läßt sich auf den Neutronenfluß im Reaktor schließen. Irgend etwas reduzierte diesen Neutronenfluß. Und dieses Etwas war wahrscheinlich – oder fast bestimmt – Tritium.«
»Sind Sie da ganz sicher?«
»Der physikalische Prozeß ist komplex, aber eindeutig. In vielen Fällen kann man anhand der Ratio verschiedener Materialien in einer Plutoniumbombe den Reaktor bestimmen, in dem sie hergestellt wurde. Meine Leute und ich sind uns unserer Schlußfolgerung recht sicher.«
»Diese Reaktoren unterlagen doch der internationalen Inspektion, oder? Wird die Tritiumproduktion denn nicht überwacht?«
»Die Deutschen umgingen einige Plutoniuminspektionen, und Tritium steht überhaupt nicht unter internationaler Kontrolle. Selbst wenn es Kontrollen gäbe, wäre die Tarnung der Tritiumproduktion ein Kinderspiel.«
Golowko stieß einen unterdrückten Fluch aus. »Um welche Mengen geht es?«
Der Wissenschaftler zuckte mit den Achseln. »Unmöglich zu sagen. Der Reaktor ist inzwischen stillgelegt, und wir haben keinen Zugang mehr.«
»Gibt es noch andere Anwendungsbereiche für Tritium?«
»Gewiß, es hat einen hohen Verkaufswert. Es ist phosphoreszierend, leuchtet also im Dunkeln. Es wird für Zifferblätter, Visiere, Instrumente und alle möglichen anderen Geräte verwendet und ist sehr wertvoll, wie ich sagte – fünfzigtausend US-Dollar pro Gramm.«
Golowko fand die Abschweifung verblüffend. »Moment mal«, sagte er. »Wollen Sie etwa sagen, daß unser sozialistisches Bruderland DDR nicht nur an einer Atom-, sondern auch an einer Wasserstoffbombe arbeitete?«
»Ja, das ist wahrscheinlich.«
»Und der Verbleib eines Elementes ist
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