Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
was ich als Nächstes tun würde, ging ich schneller.
»Sie haben doch auch Hunger?«
»Ich werde mir im Hotel etwas aufs Zimmer bestellen.«
»Die Hotelküche ist nicht zu empfehlen.« Ein paar Schritte lief er schweigend neben mir. »Entschuldigen Sie, mein Name ist Hilperth.«
Aus Höflichkeit hätte ich mich vorstellen müssen, aber ich wollte meinen Schweizer Namen nicht nennen.
»David Hilperth«, setzte er hinzu.
»Danke für Ihre Aufmerksamkeit, Herr Hilperth. Sie meinen es bestimmt nett, aber ich möchte lieber allein essen.« Ich ging weiter.
»Auf dieser Straße kommen Sie direkt in den Wald!«, rief er mir nach.
Wozu dein Trotz, dachte ich. Einen stimmungsvollen Abend wollte ich verbringen, meinen letzten in der Schweiz – warum nicht mit einem sympathischen Mann, der nicht übel aussah? Ich drehte mich um, Hilperth stand da, die Hände in die Hüften gestützt. Was sollte schon passieren? Ich seufzte und ging zurück, die Straßenlaternen warfen meinen Schatten abwechselnd vor und hinter mir auf das Kopfsteinpflaster.
5
Wir kamen an einem Lokal vorbei, das Hausseman’s hieß, überlegten nicht lange und traten ein. Ein hübscher Tisch war frei. Als der Deutsche neben mir in die Nische trat, nahm ich seinen Geruch wahr. Das war kein Rasierwasser, keine Creme – so roch er selbst. Ich ertappte mich dabei, wie ich kurz schnupperte. Der Wirt legte uns die französische Karte vor, wir bestellten beide das Tagesmenü.
»Ich arbeite an der Börse.« Hilperth hatte den Wein ausgesucht, der Kellner schenkte ein.
»Wirklich?« Ich stieß mit ihm an. »Gibt es in Frankfurt eigentlich irgendjemanden, der nichts mit dem Tanz ums Goldene Kalb zu tun hat?«
Er öffnete die Serviette mit Schwung. »So schlimm ist unser Business auch wieder nicht. Ich kenne eine Menge Leute, die keine Ahnung haben, wie Aktienhandel überhaupt funktioniert.«
»Genau wie ich.« Brot und Butter wurden vor uns abgestellt. »Die Börse, überhaupt dieser Drang, sich mit Geld zu befassen, ist das ein Männerdin g ?«
»Früher vielleicht. Aber Sie würden sich wundern, wie viele Frauen sich mittlerweile auf dem Finanzparkett tummeln.«
Schneller als erwartet kam der erste Gang, Gänseleber mit gerösteten Weißbrotscheiben.
»Gehören Sie etwa zu denen, die Profit für etwas Unanständiges halten?« Er wartete, bis ich meine Serviette entfaltet hatte, nahm dann Messer und Gabel.
Meine Antwort wäre ein klares Ja gewesen, aber so einfach wollte ich es ihm nicht machen. »In der Sprache der nordkanadischen Athapasken-Indianer gibt es kein Wort für Geld.«
»Und was sagen die Athapasken, wenn sie etwas verkaufen wollen?«
»Verwandlung.«
»Und wenn sie kaufen?«
»Verwandlung.«
»Glückliche Indianer.« Er machte sich einen appetitlichen Happen zurecht. »Wahrscheinlich brauchen sie in den subarktischen Wäldern wirklich kein Geld.« Als er abbiss, knirschte es. »Trotzdem behaupte ich, diese Art von Verwandlung liegt dem Menschen im Blut.« Lächelnd beobachtete er, wie ich probierte und genussvoll die Augen schloss. »Zu allen Zeiten wollten die Leute das Gleiche wie heute: Geld einsetzen, um ohne Arbeit noch mehr Geld zu ergattern.«
»Zu allen Zeiten?«
»Im siebzehnten Jahrhundert gab es die berühmte Tulpenzwiebelspekulation. Adelige, Bürger, Seeleute – alle beteiligten sich daran. Sogar die Lumpensammler und Kesselflicker wollten von der Tulpenzwiebel-Hausse profitieren. Der Preis für die Zwiebeln stieg um das Vierundzwanzigfache.« Er aß hastig, schon war sein Teller leer.
»Was geschah mit den Tulpenzwiebeln?«
»Sie sind verfault, nehme ich an. Es ging gar nicht um die Zwiebeln, nur um den Wert, den sie in den Köpfen der Menschen besaßen.« Er fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Bisschen versalzen, oder?«
So einer bist du, dachte ich, leistest dir das Feinste vom Feinen und hast dann noch dran rumzumeckern.
»Welt – Wirtschaft – Weltmarkt«, sagte er. »Es gibt nichts Aufregenderes.«
Ich hatte ihm das Stichwort gegeben, nun war er in seinem Element und nicht mehr zu bremsen.
»Nicht Ideologien oder Religionen haben die Völker einander nähergebracht, sondern die Wirtschaft. Heutzutage bedeutet das: Verständigung im Sekundentakt, Handel bis in die letzten Winkel der Erde. Aus Schwellenländern werden Industrienationen. Es bedeutet die Aufhebung jeder Distanz.«
»Aber wozu?« Ich sah den Kellner mit der Suppe kommen.
»Das ist der Lauf der Dinge.« Seine Augen glänzten, die Stirn
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