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Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Titel: Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Miller
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war gerötet. »Vor hundert Jahren haben Autos, Filme, Röntgenstrahlen die Wirtschaft revolutioniert. Heute ist es Nanotechnik, heute ist es www.dot.com. « Er quittierte das »bon appétit« des Kellners mit einem Nicken. »Es ist ein ewiger Kreislauf, eine Spirale, die sich nach oben schraubt. Wer hätte vor zwanzig Jahren vorausgesehen, dass China in der Wirtschaft die Weltspitze erobern würde, und zwar völlig unblutig?« Auf meinen fragenden Blick hin antwortete er: »Die drei größten Banken der Welt haben ihren Sitz in China.«
    Am Nebentisch drehte sich ein Schweizer Ehepaar um. Sie fühlten sich durch den euphorischen Monolog des Deutschen gestört. Mir gefiel es, dass jemand so leidenschaftlich wurde, wenn er von seinem Beruf sprach. Unwillkürlich musste ich an Pascal denken, der selten über seine Arbeit gesprochen hatte. Ich löffelte die Gemüsesuppe; eine Zeit lang aßen wir schweigend.
    »Wie hat es Sie aus den kanadischen Wäldern hierher verschlagen?« Hilperth wischte sich den Mund ab.
    Ich zögerte – warum sollte ich ihm nicht die Wahrheit sagen? »Ich suche meinen Mann.«
    »Sie suchen ihn? Hat er sich mit einer Freundin in die Schweiz abgesetzt? Entschuldigen Sie«, fügte er hinzu, als ich ernst blieb.
    »Er ist tot.« Zum ersten Mal hörte ich mich den Satz sagen. »Es wird behauptet, dass er tot ist.«
    Seine fröhliche Miene fiel in sich zusammen. »Verzeihen Sie meine Respektlosigleit. Wie konnte ich wissen …?«
    »Das konnten Sie nicht.«
    »Und Sie selbst glauben nicht, dass er tot ist?«
    »Ich will es nicht glauben.« Ich erklärte, dass mein Mann Schweizer sei, dass seine Familie hier lebte und dass ich nach wochenlangen Versuchen, ihn in Brasilien zu finden, hergekommen war, um mich mit ihnen zu beraten, ohne besonderen Erfolg.
    »Wenn Sie in Frankfurt leben und mit der Börse zu tun haben, kennen Sie meinen Mann vielleicht.« Ich nannte Pascals Namen.
    Der Deutsche nickte betroffen. »Ich habe von der Sache in den Nachrichten gehört. Jeder in unseren Kreisen kennt Pascal Zuermatt.« Er legte den Löffel beiseite und senkte den Blick. »Persönlich hatte ich allerdings nie das Vergnügen.«
    Wir warteten, dass die Teller abgeräumt wurden. Ich betrachtete die Blumentapete und war sicher, dass Hilperth mich beobachtete.
    »Werden Sie in der Schweiz bleiben?«, fragte er. »Bei der Familie Ihres Mannes, meine ich?«
    »Aber nein!« Ich musste fast lachen. »Das war nie meine Absicht. Ich wollte nur in Erfahrung bringen …« Ich stockte, der Grund meines Besuchs hatte sich merkwürdig verflüchtigt und mich ratlos zurückgelassen. »Ich reise morgen ab.«
    »Schade.« Sein Bedauern klang echt. »Dann haben Sie gar nichts von der Gegend genossen?«
    »Wenig.«
    »Keinen Berg bestiegen?«
    »Ich bin eine Flachländerin. Das sagte Pascal wenigstens immer.«
    Der Kellner brachte den Loup de Mer auf einem Servier wagen und filetierte ihn vor uns.
    »Warum kommen Sie nicht mit mir?«, fragte der Deutsche spontan. »Ich will morgen einen Gipfel schaffen.«
    »Dreitausend Meter hochzuklettern ist nichts für mich«, antwortete ich und wunderte mich, dass ich seinen Vorschlag überhaupt in Erwägung zog.
    »Die Dreitausender wirken zwar nahe, sind aber ziemlich weit von Saanen entfernt. Ich will morgen aufs Giferhorn, das ist nur lächerliche zweitausendfünfhundert Meter hoch.«
    »Das Angebot ist sehr nett, Herr Hilperth, aber morgen Mittag geht mein Flug.«
    »Wohin?«
    Ich sah ihn an. Der Gedanke war lächerlich, aber ich fühlte mich ausgehorcht. »Lassen Sie sich den Fisch gut schmecken.«
    »Ihre Gesellschaft hätte die Route bestimmt noch schöner gemacht.« Er griff zum Besteck. »Es ist nun mal schöner, ein Erlebnis mit jemandem zu teilen.«
    »Warum teilen Sie das Erlebnis nicht mit Ihrer … Entschuldigung, das geht mich nichts an.«
    »Ich bin allein hier«, antwortete er. »Ich bin geschieden.« Ein trauriger Glanz trat in seine Augen. »Unabhängigkeit ist etwas Wunderbares, aber nicht in den Bergen. In den Bergen braucht man einen Partner.« Plötzlich beugte er sich vor. »Kommen Sie mit, ich bitte Sie. Ein Flug lässt sich umbuchen.«
    Da war er wieder, dieser Geruch, weich, zugleich männlich, er gefiel mir. Hilperths Dringlichkeit rührte mich, Einsamkeit schimmerte durch seine Worte. War es nicht ein freundlicher Wink des Schicksals, mir diesen sensiblen Mann vorbeizuschicken, der eine gemeinsame Wanderung vorschlug? Ich musste daran denken, dass mein Sitzplatz noch

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