Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Titel: Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Miller
Vom Netzwerk:
fand.
    »Bitte sehr! Das Giferhorn!«
    Endlich holte er die Wasserflasche hervor und ließ mir den ersten Schluck. Ich trank gierig wie das Vieh, erschöpft sank ich neben ihm auf den bemoosten Strunk.
    »Bereuen Sie es, mitgekommen zu sein?«
    Sein gönnerhaftes Lächeln missfiel mir. Ich kam wieder hoch und gab mir den Anschein, den Weg leichtfüßig weiterzulaufen. »Nur keine Müdigkeit vortäuschen!«
    »Spar deine Kräfte!«, rief er. »Jetzt wird es anstrengend.« Er holte mich ein. »Hier oben finde ich das Sie irgendwie zu gespreizt – Sie nicht auch?«
    Du oder Sie – in meinem Zustand war mir das egal. »Ich heiße Tony«, keuchte ich.
    »Hallo, Tony.«
    »Hallo, David.«
    Der Weg wurde breiter, wir gingen nebeneinander. Zwischen zwei Almhütten führte ein Steig in die Steinregion, die Bäume verschwanden, nur noch niedriges Gesträuch duckte sich zwischen den Felsen. Allmählich merkte ich, wie mein Tritt gleichmäßiger wurde, ich setzte Fuß vor Fuß, die Landschaft blieb unter mir zurück. Bald war die Spitze des Giferhorns das Einzige, was sich vor dem wolkenlosen Himmel abhob, und während ich aufhörte, ans Ziel zu denken, kam ich ihm näher.
    Wir erreichten die Giferhütte. In der warmen Jahreszeit war sie unversperrt, ich sah mich im Inneren um, während David im Freien seine Schätze auspackte. Kleine Hartwürste, frisches Brot, Streichkäse und Äpfel; er öffnete das Schweizermesser und teilte alles auf. Ein fürsorglicher Mann, dachte ich; bevor ich zugriff, lächelte ich ihn an. Ich versuchte nicht, meinen Heißhunger zu verbergen, biss in den Apfel, dass es krachte, und verschlang drei Würste hintereinander. David zeigte auf das Panorama, dort hinten liege das Abristhorn, sagte er, rechts davon der Lohner. Er aß nur wenig und legte sich danach ins moosige Gras.
    »Eine halbe Stunde Rast gönnen wir uns.«
    Ich schmunzelte, wie selbstverständlich ich akzeptierte, dass er das Programm bestimmte, ließ mich gegen die Hüttenwand sinken und war glücklich, mitgekommen zu sein. Wieder musste ich denken, dass die Welt, aus der Ebene betrachtet, nicht annähernd so verlockend war wie die Weite hier oben. Wahrscheinlich rührte von daher der Name Jammertal, von einem Jammerberg hatte ich noch nie gehört. Die halbe Stunde verging in tiefem Frieden, nichts war zu hören als die Schwingen eines großen Vogels, ein leichter Wind, das Knacken der Holzwand in der Mittagssonne. Als David seine Sachen packte, fühlte ich mich ausgeruht, der Schweiß im Rücken war getrocknet. Ich spürte den Temperaturabfall in der Höhe und war froh, mich wetterfest angezogen zu haben.
    Obwohl der Steig gut markiert war, musste mancher Fels erklettert, manche Nase umgangen werden, der Gipfelanstieg war nur mit Händen und Füßen zu meistern. Unvermittelt traten wir auf einen Grat hinaus, vor dem mir schwindelte. Senkrecht, so kam es mir vor, fiel die Wand ab, an ihrem Fuß sah ich Wasser.
    »Das Bergzummloch«, sagte er und blieb ab jetzt dichter bei mir, sicherte Abbrüche, die übersprungen werden mussten. An Kanten, wo der Abgrund unvermittelt nahe kam, stellte er sich zum Schutz davor.
    »Ich habe vergessen zu fragen, ob du schwindelfrei bist«, sagte er mit besorgtem Blick.
    »Daheim auf unserem Fernsehturm habe ich keine Probleme. Da gibt es allerdings auch Geländer.«
    Das felsige Band wurde noch schmaler. Ich zögerte nicht, Davids Hand zu nehmen, und setzte jeden Schritt mit äußerster Vorsicht. Ich schaute nicht hinunter, nur nach vorn und hinauf. Über mir war fast nur noch Himmel.
    Beim Erklimmen des Gipfelplateaus ließ David mir den Vortritt, die Freude über mein großes Staunen war ihm ins Gesicht geschrieben. Da stand das Kreuz aus Eisen, daneben ein heller Stein, rechts und links und vorne und hinten nichts mehr. Weite, Endlosigkeit. Meine Zweifel, all die sich selbst auffressenden Gedanken, meine verworrenen Gefühle waren mit einem Schlag vergessen, abgetaucht in die Tiefe, die ich überwunden hatte. Tränen der Freude schossen mir in die Augen, die mich nicht blind machten, sondern klarer sehen ließen. David trat hinter mich, er schien meine Gefühlsaufwallung zu verstehen und wartete, bis ich mich beruhigte.
    »Dort drüben, das sind Eiger, Mönch und Jungfrau«, erklärte er. »Das sind die wahren Riesen, dagegen stehen wir hier nur auf einem Hügel.«
    »Mir genügt es.« Ich fand kein Taschentuch. »Wie gern hätte ich das mit Pascal erlebt.« Augenblicklich tat der Satz mir leid, ich

Weitere Kostenlose Bücher