Das Echo der Traeume
berichtete. Rosalinda hatte arrangiert, dass ihn ein Dienstwagen am Hafen von Tanger abholte und auf direktem Weg ins Hotel Nacional in Tetuán brachte.
Ich setzte mich in den Innenhof mit seinen Blumenkübeln und den bunten, mit Arabesken verzierten Kacheln, um auf die beiden zu warten, und machte es mir dabei in einem Korbsessel bequem. Kletterpflanzen rankten sich an Gittern die Wände empor, von der Decke hingen große Lampen im maurischen Stil. Das Gemurmel fremder Stimmen im Gespräch und das in einem kleinen Brunnen plätschernde Wasser bildeten eine angenehme Geräuschkulisse.
Rosalinda traf ein, als die letzten Sonnenstrahlen durch das Glasdach fielen, der Journalist zehn Minuten später. Die ganzen vergangenen Tage über hatte ich im Geiste das Bild eines impulsiven, brüsken Mannes vor mir gehabt, eines Menschen mit genügend Biss und Mut, um jeden einzuschüchtern, der sich ihm in den Weg stellt, nur damit er sein Ziel erreicht. Doch ich irrte mich, wie man sich fast immer irrt, wenn man sich aufgrund einer simplen Handlung oder einiger weniger Worte eine Meinung bildet. Ich hatte mich geirrt, und ich wusste es in dem Moment, als der Journalist und vermeintliche Erpresser mit zerknittertem hellem Leinenanzug und gelockertem Krawattenknoten durch den Rundbogen trat, der zum Innenhof führte.
Er erkannte uns sofort, denn ein Blick in die Runde verriet ihm, dass wir die einzigen beiden jungen Frauen waren, die allein an einem Tisch saßen: eine Blonde, unverkennbar Ausländerin, und eine Dunkelhaarige, eindeutig spanischer Herkunft. Wir bereiteten uns darauf vor, ihn zu begrüßen, ohne aufzustehen, das Kriegsbeil hinter dem Rücken versteckt, falls man sich gegen diesen unangenehmen Gast verteidigen müsste. Doch sein Einsatz erübrigte sich, denn der Marcus Logan, der an jenem frühen nordafrikanischen Abend auf uns zukam, hätte alle erdenklichen Gefühle in uns wecken können, aber bestimmt keine Angst. Er war groß, zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, die braunen Haare wirkten etwas zerzaust. Als er sich auf einen Bambusstock gestützt näherte, sahen wir, dass seine linke Gesichtsseite voller halb verheilter Wunden und blauer Flecken war. Obwohl sein Äußeres noch den Mann erkennen ließ, der er vor dem unseligen, beinahe tödlichen Zwischenfall gewesen war, war er in jenem Moment kaum mehr als ein schmerzgeplagter Mensch, der sich, nachdem er uns mit aller Höflichkeit, derer er in seinem bemitleidenswerten Zustand fähig war, begrüßt hatte, in einen Sessel sinken ließ. Er konnte nicht verhehlen, wie sehr sein übel zugerichteter, müder Körper nach der langen Reise ihm zu schaffen machte.
» Mrs. Fox and Miss Quiroga, I suppose«, waren seine ersten Worte.
» Yes, we are, indeed«, antwortete Rosalinda in ihrer gemeinsamen Sprache. » Nice meeting you, Mr. Logan. And now, if you don’t mind, I think we should proceed in Spanish; I’m afraid my friend won’t be able to join us otherwise.«
» Por supuesto, natürlich, entschuldigen Sie«, sagte er an mich gewandt.
Er wirkte nicht wie ein skrupelloser Erpresser, vielmehr wie ein hart arbeitender Mensch, der sich, so gut es eben ging, durchs Leben schlug und Gelegenheiten, die sich ihm boten, beim Schopf packte. Wie Rosalinda, wie ich selbst. Wie alle in jener Zeit. Ehe er auf die Sache zu sprechen kam, die ihn nach Marokko geführt hatte, und sich von Rosalinda bestätigen ließ, alles wie versprochen arrangiert zu haben, nannte er uns seine Referenzen. Er arbeitete für eine britische Nachrichtenagentur, war für die Berichterstattung über den Bürgerkrieg von beiden Seiten akkreditiert und in der Hauptstadt stationiert, jedoch ständig unterwegs. Bis das geschah, womit er nicht gerechnet hatte. Er wurde in ein Madrider Krankenhaus gebracht, notoperiert und, sobald es sein Zustand zuließ, nach London ausgeflogen. Er hatte mehrere Wochen im Royal London Hospital gelegen, unsägliche Schmerzen und Behandlungen aushalten müssen, war ans Bett gefesselt und hatte sich nach dem gewohnten aktiven Leben zurückgesehnt.
Als ihm die Nachricht überbracht wurde, dass jemand, der mit dem spanischen Hochkommissar in Marokko in Verbindung stand, eine Information von ihm benötigte, witterte er Morgenluft. Ihm war klar, dass er in seinem derzeitigen Zustand nicht wie früher kreuz und quer durch Spanien würde reisen können, aber ein Besuch im Protektorat würde ihm die Möglichkeit bieten, sich weiter zu erholen, gleichzeitig aber auch –
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