Das Echo der Traeume

abgelesen hatte, zerriss sie den Zettel in tausend kleine Stücke und warf sie in den Aschenbecher, der bereits voller Zigarettenkippen war.
    » Trotz ihrer Bemühungen, eine neue Kollektion mit den schönsten Modellen herauszubringen, haben alle mit demselben Problem zu kämpfen. Deshalb wird es keinem leichtfallen, sich erfolgreich zu präsentieren.«
    » Mit welchem Problem?«
    » Dem Mangel an Stoffen, dem absoluten Mangel an Stoffen. Weder Spanien noch Frankreich produzieren derzeit Stoffe für diese Art von Kleidung. Die Fabriken, die nicht geschlossen wurden, stellen Stoffe her, mit denen die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abgedeckt werden sollen, oder sie entwickeln Materialien für militärische Zwecke. Aus Baumwolle werden Uniformen genäht, aus Leinen Verbände gemacht: Für jede Art von Stoff gibt es einen Einsatzbereich, der wichtiger ist als Mode. Du hättest dieses Problem nicht, denn du könntest Stoffe aus Tanger mitnehmen. Hier läuft der Handel noch, und es gibt keine Importschwierigkeiten wie auf der Halbinsel. Es kommt Ware aus Amerika und Argentinien herein, noch gibt es aus den Vorjahren große Lagerbestände an Stoffen aus Frankreich und Wolle aus England, an Seide aus Indien und China – von allem kannst du dir etwas mitnehmen. Und falls du Nachschub brauchst, finden wir einen Weg, dich zu versorgen. Wenn du mit Stoffen und guten Ideen im Gepäck nach Madrid kommst und ich über meine Kontakte dafür sorge, dass es sich herumspricht, dann kannst du die gefragteste Schneiderin der Saison werden. Du wirst keine Konkurrenz haben, Sira, denn du wirst ihnen als Einzige anbieten können, wonach sie gieren: glamouröse Auftritte, Luxus – absolut oberflächlich, als wäre die Welt ein Ballsaal und nicht das blutgetränkte Schlachtfeld, zu dem sie selbst sie gemacht haben. Die Damen aus Deutschland, sie werden dich belagern.«
    » Aber sie werden mich mit dir in Verbindung bringen …«, wandte ich ein in der Hoffnung, mich mit diesem Argument aus der Affäre ziehen zu können.
    » Keineswegs. Wer sollte auf solch eine Idee kommen? Die meisten dieser Damen sind neu in Madrid und haben keinen Kontakt zu den Deutschen in Marokko. Niemand braucht zu wissen, dass wir beide uns kennen. Obwohl es dir natürlich sehr helfen wird, dass du schon für ihre Landsmänninnen in Tetuán genäht hast: Du kennst ihren Geschmack und weißt, wie du mit ihnen umgehen musst.«
    Während Rosalinda redete und redete, schloss ich die Augen und bewegte lediglich den Kopf von einer Seite zur anderen. Für einige Augenblicke kehrte ich in Gedanken zu meinen ersten Monaten in Tetuán zurück, zu der Nacht, in der Candelaria mir die Pistolen gezeigt und vorgeschlagen hatte, sie zu verkaufen, um Geld für die Eröffnung des Ateliers zu haben. Das Gefühl von Panik, das mich nun überkam, war dasselbe und auch die jetzige Szenerie nicht unähnlich: zwei Frauen, die im Verborgenen miteinander reden, die eine erläutert einen ausgeklügelten Plan, und die andere, vollkommen verängstigt, weigert sich mitzumachen. Trotzdem gab es Unterschiede. Große Unterschiede. Der Plan, den Rosalinda mir darlegte, gehörte in eine andere Dimension.
    Ihre Stimme holte mich aus der Vergangenheit zurück, aus der armseligen Kammer in der Pension in der Calle Luneta, und ich fand mich in der Gegenwart wieder, in dem kleinen Lagerraum hinter dem Tresen von Dean’s Bar.
    » Wir werden dich berühmt machen, wir haben die Möglichkeit dazu. Ich habe gute Beziehungen zu den Kreisen in Madrid, die uns interessieren. Wir werden dich durch Mundpropaganda bekannt machen, ohne dass jemand eine Verbindung zu mir herstellt. Das SOE wird die Einstiegskosten übernehmen, also die Miete für das Atelier bezahlen, die Einrichtung und die Erstausstattung mit Stoffen und sonstigen Materialien. Die Zollformalitäten erledigt Juan Luis, und er besorgt dir auch die notwendigen Genehmigungen, damit du die Ware von Tanger nach Spanien importieren darfst. Es sollte eine reichlich bemessene Menge an Stoff sein, denn sobald er als Minister entlassen ist, wird es mit den Formalitäten wesentlich schwieriger. Was du mit dem Atelier an Ertrag erzielst, gehört alles dir. Du müsstest nur das Gleiche tun wie gegenwärtig in Marokko, aber besonders gut hinhören, was die deutschen Kundinnen sich so erzählen, vielleicht sogar auch die Spanierinnen, die mit den Mächtigen und den Nazis verbandelt sind. Das wäre sicherlich auch sehr interessant. Die Damen aus Deutschland