Das Echo der Traeume
hin. Grüner Samt, schwer. Ich schob die eine Hälfte zur Seite und trat ein.
» Du kommst spät zu meiner Party.«
Weder die schmutzigen Wände, das trübe Licht der einsamen Glühbirne, noch die rundherum gestapelten Getränkekästen und Säcke mit Kaffee nahmen meiner Freundin etwas von ihrem Glamour. Vielleicht hatte sie selbst, vielleicht hatte Dean, vielleicht hatten sie beide gemeinsam den kleinen Lagerraum am Nachmittag, bevor die Bar öffnete, vorübergehend in eine Art Séparée verwandelt. So privat, dass es nur zwei Stühle gab, zwischen denen ein Fass mit einer weißen Tischdecke darüber stand. Darauf zwei Gläser, ein Cocktailshaker, eine Schachtel türkische Zigaretten und ein Aschenbecher. In einer Ecke des Raums balancierte auf einem Stapel Kisten ein Grammophon, und Billie Holiday sang Summertime.
Wir hatten uns ein ganzes Jahr nicht gesehen, seit ihrer Abreise nach Madrid. Sie war immer noch so dünn wie früher, hatte durchscheinende Haut, und die blonde Haarwelle fiel ihr nach wie vor über ein Auge. Ihr Gesicht hingegen schien verändert, anders als in den sorglosen Tagen, anders jedoch auch als in der besonders schwierigen Zeit des Zusammenlebens mit ihrem Ehemann oder während ihrer anschließenden Rekonvaleszenz. Worin diese Veränderung bestand, konnte ich nicht genau sagen, aber es wirkte, als wäre alles ein wenig durcheinandergeraten. Sie schien älter geworden, reifer. Ein wenig müde vielleicht. Aus ihren Briefen wusste ich von den Schwierigkeiten, mit denen Beigbeder und sie in der Hauptstadt zu kämpfen hatten. Allerdings hatte sie nicht erwähnt, dass sie einen Besuch in Marokko plante.
Wir umarmten uns, kicherten wie Teenager, bewunderten gegenseitig unsere Garderobe und fingen wieder an zu lachen. Wie sehr hatte mir Rosalinda gefehlt! Ich hatte meine Mutter, gewiss. Und Félix. Und Candelaria. Und mein Atelier und mein neues Hobby, das Lesen. Doch wie sehr hatte ich Rosalindas spontane Besuche vermisst, ihre Art, alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen als der Rest der Welt. Ihre Einfälle, ihre kleinen Überspanntheiten, ihr aufgeregtes Geplapper. Ich wollte alles wissen und bombardierte sie mit Fragen: wie es ihr in Madrid gefiel, wie es Johnny ging, wie Beigbeder, was sie dazu bewogen hatte, wieder nach Nordafrika zu kommen. Sie antwortete ausweichend, erzählte ein paar Anekdoten, vermied jede Anspielung auf Probleme. Bis ich aufhörte, sie mit meinen neugierigen Fragen zu löchern. Da begann sie, während sie die Gläser füllte, endlich Klartext zu reden.
» Ich bin gekommen, um dir eine Arbeit anzubieten.«
» Aber ich habe eine Arbeit!«, entgegnete ich lachend.
» Ich möchte dir eine andere vorschlagen.«
Wieder lachte ich auf, nahm einen Schluck. Pink Gin, wie so viele Male zuvor.
» Und was?«, fragte ich und stellte dabei das Glas ab.
» Das Gleiche wie hier, allerdings in Madrid.«
Als mir klar wurde, dass sie es ernst meinte, blieb mir das Lachen im Hals stecken, und ich wurde ernst.
» Ich fühle mich wohl in Tetuán. Das Geschäft läuft gut. Auch meiner Mutter gefällt es, hier zu leben. Es läuft wirklich prima mit unserem Atelier. Wir überlegen sogar, ob wir nicht ein Lehrmädchen einstellen. An eine Rückkehr nach Madrid haben wir nicht gedacht.«
» Ich spreche nicht von deiner Mutter, Sira, nur von dir. Und du müsstest das Atelier in Tetuán nicht schließen, deine Abwesenheit wäre sicher nur vorübergehend. Das hoffe ich zumindest. Wenn alles vorbei ist, könntest du zurückkehren.«
» Wenn was vorbei ist?«
» Der Krieg.«
» Der Krieg ist seit über einem Jahr vorbei.«
» Euer Krieg, ja. Aber inzwischen gibt es einen neuen.«
Sie stand auf, drehte die Schallplatte um und die Lautstärke höher. Noch mehr Jazz, dieses Mal instrumental. Ihr lag offenbar daran, dass man jenseits des Vorhangs nichts von unserer Unterhaltung mitbekam.
» Es gibt einen neuen schrecklichen Krieg. Mein Land ist daran beteiligt, und deines könnte jeden Tag eintreten. Juan Luis hat getan, was er konnte, damit Spanien sich heraushält, doch nach dem Gang der Ereignisse zu urteilen, wird das sehr schwierig werden. Deshalb wollen wir alle Möglichkeiten nutzen, um Deutschlands Druck auf Spanien zu verringern. Wenn uns das gelänge, würde deine Nation nicht in den Konflikt verwickelt und wir hätten größere Chancen auf einen Sieg.«
Ich begriff noch immer nicht, was das alles mit meiner Arbeit zu tun haben sollte, ließ sie aber weiterreden.
» Juan
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