Das Echo der Traeume
nicht einzumischen.«
» Sicher, Mutter?«
» Ja, mein Kind, ganz bestimmt. Gib mir allenfalls eine der Fotografien, irgendeine, nur zur Erinnerung. Alles andere gehört dir allein, aber ich bitte dich bei der heiligen Maria, Sira: Hör auf das, was ich dir nun sagen werde, Mädchen.«
Endlich blieb sie stehen und sah mir im trüben Licht einer Straßenlaterne in die Augen. Menschen eilten kreuz und quer an uns vorbei, ohne zu ahnen, welchen Aufruhr jene Begegnung in uns beiden Frauen ausgelöst hatte.
» Sei vorsichtig, Sira. Sei vorsichtig und verantwortungsvoll«, stieß sie mit leiser Stimme hastig hervor. » Mach keine Dummheiten, denn was du jetzt besitzt, das ist viel, wirklich viel, sehr viel mehr, als du dir in deinem ganzen Leben hättest erträumen können. Sei deshalb, um Himmels willen, vorsichtig, meine Tochter! Sei vorsichtig und besonnen.«
Wir gingen schweigend nebeneinanderher, bis sich unsere Wege trennten. Meine Mutter kehrte ohne mich in ihre leere Wohnung zurück, zur schweigenden Gesellschaft meines Großvaters, der nie erfuhr, wer der Vater seiner Enkelin war, weil Dolores, dickköpfig und stolz, sich stets geweigert hatte, seinen Namen preiszugeben. Und ich kehrte zurück zu Ramiro. Er wartete im Wohnzimmer auf mich, wo er im Halbdunkel sitzend rauchte und Radio hörte, ausgehfertig und begierig zu erfahren, wie es mir ergangen war.
Ich schilderte ihm den Besuch bis ins kleinste Detail: was ich dort alles gesehen hatte, was mein Vater mir erzählt, wie ich mich gefühlt und was er mir geraten hatte. Und ich zeigte ihm auch, was ich aus jenem Haus, in das ich vermutlich nie mehr zurückkehren würde, mitgebracht hatte.
» Das ist viel wert, meine Kleine«, sagte er beim Anblick der Schmuckstücke leise.
» Und ich habe noch mehr bekommen«, erwiderte ich und hielt ihm die Umschläge mit den Geldscheinen hin.
Statt einer Antwort stieß er lediglich einen Pfiff aus.
» Was machen wir jetzt mit alledem, Ramiro?«, fragte ich, und mein Magen zog sich vor Sorge zusammen.
» Was du damit machst, willst du wohl sagen, mein Liebling. Das alles gehört dir ganz allein. Aber wenn du möchtest, überlege ich mir, wie man das Ganze am besten aufbewahrt. Man könnte es in meinem Bürotresor deponieren, das wäre vielleicht eine gute Idee.«
» Und warum bringen wir es nicht auf die Bank?«, fragte ich.
» Das wäre in der heutigen Zeit nicht unbedingt die beste Lösung, glaube ich.«
Der Zusammenbruch der New Yorker Börse vor einigen Jahren, die politische Instabilität und eine Menge anderer Dinge, die mich nicht im Geringsten interessierten, lieferten ihm Argumente für seinen Vorschlag. Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu: Was immer er entscheiden mochte, es erschien mir richtig, denn ich wollte nur möglichst schnell einen sicheren Ort für jenes Vermögen, an dem ich mir bereits die Finger zu verbrennen meinte.
Am nächsten Tag kam er mit allen möglichen Faltblättern und Broschüren von der Arbeit nach Hause.
» Ich habe mir in einem fort den Kopf wegen dieser Angelegenheit zerbrochen, und ich glaube, ich habe die Lösung gefunden. Das Beste wird sein, du gründest ein Handelsunternehmen«, verkündete er, kaum dass er zur Tür herein war.
Ich hatte das Haus noch gar nicht verlassen, seit ich aufgestanden war. Den ganzen Vormittag über war ich angespannt und nervös gewesen, hatte, noch ganz erschüttert von der seltsamen Empfindung, die das Wissen in mir auslöste, einen Vater mit Vor- und Nachnamen, Vermögen und Gefühlen zu haben, ständig an die Begegnung vom Vortag denken müssen. Sein unerwarteter Vorschlag steigerte meine Verwirrung nur noch.
» Wofür soll das gut sein?«, fragte ich verwundert.
» Weil dein Geld in einer Firma sicherer ist. Und auch aus einem anderen Grund.«
Dann erzählte er mir von Schwierigkeiten in seiner Firma, den Spannungen mit seinen italienischen Chefs und der unsicheren Lage für ausländische Unternehmen im politisch turbulenten Spanien jener Tage. Und von seinen Ideen erzählte er mir, von einem ganzen Katalog an Projekten, von denen ich bislang kein Wort gehört hatte. Allesamt innovativ und brillant, allesamt geeignet, das Land mit Hilfe genialer ausländischer Erfinder zu modernisieren und ihm auf diese Weise den Weg in die moderne Zeit zu ebnen. Vom Import englischer Mähdrescher für die Felder Kastiliens war die Rede, von Staubsaugern aus Nordamerika, die für blitzsaubere Stadtwohnungen sorgten, und von einem Kabarett im Berliner
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