Das Echo der Traeume
schwarzen und weißen Steinen und den fast bis zu den Dächern der Gebäude aufragenden Bäumen, die die breite Straße zu beiden Seiten säumten. Dort wohnte sie, in der Nummer 114. So lautete der Absender auf den Briefen, die Beigbeder in jener Nacht, wahrscheinlich der bittersten seines Lebens, zu mir nach Hause gebracht hatte. Ich suchte die Nummer und fand sie über dem großen Holztor in der Mitte einer imposanten gefliesten Fassade. Natürlich, dachte ich mit einem Anflug von Melancholie.
Auch am Nachmittag besuchten wir noch verschiedene Winkel der Stadt, bis ich gegen fünf Uhr müde wurde. Es war ein heißer und anstrengender Tag gewesen, und mir platzte von Joãos unaufhörlichem Geplapper fast der Kopf.
» Ein letzter Stopp, gleich hier«, schlug er vor, als ich ihm sagte, es sei an der Zeit zurückzufahren. Er brachte das Auto vor einem Café mit modernistischem Eingang in der Rua Garrett zum Stehen. A Brasileira.
» Niemand darf aus Lissabon wegfahren, ohne einen guten Kaffee getrunken zu haben«, fügte er hinzu.
» Aber, João, es ist schon so spät …«, protestierte ich kläglich.
» Nur fünf Minuten. Gehen Sie rein und bestellen Sie einen bico, Sie werden es bestimmt nicht bereuen.«
Ich willigte lustlos ein: Ich wollte diesen unverhofften Informanten, der mir vielleicht noch einmal nützlich sein konnte, nicht verärgern. Trotz des opulenten Interieurs und der großen Zahl an Stammkunden war es in dem Lokal schön kühl und angenehm. Rechts die Bar, links die Tische, gegenüber eine Uhr, an der Decke vergoldeter Stuck und an den Wänden große Bilder. Ich bekam eine kleine weiße Steinguttasse und probierte vorsichtig einen Schluck. Schwarzer Kaffee, stark, wunderbar. João hatte recht: das reinste Stärkungsmittel. Während ich darauf wartete, dass der Kaffee etwas abkühlte, ließ ich den Tag noch einmal Revue passieren. Mir fielen Details zu da Silva wieder ein, die ich im Geiste auswertete und sortierte. Als in der Tasse nur noch ein Bodensatz blieb, legte ich einen Geldschein daneben und stand auf.
Der Schock kam so unerwartet, so plötzlich und so heftig, dass ich zu keinerlei Reaktion fähig war. Drei ins Gespräch vertiefte Männer betraten genau in dem Moment das Lokal, als ich gehen wollte: drei Hüte, drei Krawatten, drei ausländische Gesichter, drei, die miteinander Englisch sprachen. Zwei von ihnen kannte ich nicht, den dritten schon. Mehr als drei Jahre waren inzwischen vergangen, seitdem wir uns nicht voneinander verabschiedet hatten. In dieser Zeit hatte sich Marcus Logan kaum verändert.
Ich sah ihn zuerst. Als er mich bemerkte, schaute ich voller Panik bereits auf die Tür.
» Sira …«, flüsterte er.
So hatte mich seit langer Zeit niemand mehr genannt. Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich war kurz davor, den gerade getrunkenen Kaffee wieder auszuspucken. Mir gegenüber, nur ein paar Meter entfernt, stand – den letzten Buchstaben meines Namens noch auf den Lippen, Überraschung im Gesicht – der Mann, mit dem ich Ängste und Freuden geteilt hatte, der Mann, mit dem ich gelacht und Gespräche geführt hatte, mit dem ich spazieren und tanzen gegangen war und mit dem ich geweint hatte. Der Mann, der mir meine Mutter zurückgab und in den haltlos zu verlieben ich mich standhaft geweigert hatte, obwohl uns während einiger intensiver Wochen viel mehr verband als eine einfache Freundschaft. Die Vergangenheit fiel plötzlich zwischen uns herab wie ein Vorhang: Tetuán, Rosalinda, Beigbeder, das Hotel Nacional, mein erstes Atelier, unbeschwerte Tage und endlose Nächte. Das, was hätte sein können und nicht geschehen war, zu einer Zeit, die niemals wiederkehren würde. Ich wollte ihn umarmen, ihm sagen, ja, Marcus, ich bin’s. Ich wollte ihn erneut bitten, mich von hier wegzuholen, an seiner Hand davonlaufen, wie wir es einst in der Dunkelheit eines nordafrikanischen Gartens getan hatten: stattdessen nach Marokko zurückkehren, vergessen, dass etwas existierte, was man Geheimdienst nannte, ignorieren, dass ich zwielichtige Aufgaben zu verrichten hatte, und das triste, graue Madrid hinter mir lassen, in das ich trotzdem zurückkehren musste. Aber ich tat nichts davon, denn eine laut warnende innere Stimme, die stärker war als mein eigener Wille, mahnte mich, ich hätte keine andere Wahl: Ich musste so tun, als würde ich ihn nicht kennen. Und ich gehorchte.
Ich reagierte nicht auf meinen Namen, würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Als sei ich taub und
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