Das Echo der Traeume
Tagen hat mich Señor da Silva zum Abendessen in das Casino in Estoril eingeladen, und es hat mich gewundert, wie viele Leute er kennt. Er grüßte Engländer und Amerikaner ebenso wie Deutsche und etliche Europäer aus anderen Ländern. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, dem es so leichtfällt, mit aller Welt gut Freund zu sein.«
Wieder verriet ihre Grimasse, dass sie anders darüber dachte. Jedoch entgegnete sie nichts, und ich hatte keine andere Wahl, als weiterzureden, bemüht, das Gespräch nicht versanden zu lassen.
» Mir haben die Juden leidgetan, die ihre Häuser und Geschäfte verlassen mussten, um vor dem Krieg zu fliehen.«
» Die Juden im Casino von Estoril haben Ihnen leidgetan?«, fragte sie mit zynischem Lächeln. » Mir kein bisschen: Sie leben wie in einem ewigen Luxusurlaub. Leid tun mir die armen Unglücklichen, die mit einem Pappköfferchen gekommen sind und Tag für Tag vor den Konsulaten und vor den Schaltern der Schifffahrtsgesellschaften Schlange stehen, um ein Visum oder eine Schiffspassage nach Amerika zu ergattern – und das oft vergeblich. Leid tun mir die Familien, die zusammengepfercht in dreckigen Pensionen schlafen und von der Armenspeisung leben, die armen Mädchen, die sich für eine Handvoll Escudos in dunklen Ecken anbieten, und die Alten, die in den Cafés die Zeit totschlagen, vor sich schmutzige Tassen, die seit Stunden leer sind, und die schließlich von einem Kellner auf die Straße gescheucht werden, damit ihr Platz frei wird. Diese Leute tun mir leid. Mit denen, die Abend für Abend im Casino einen Teil ihres Vermögens verspielen, habe ich keinerlei Mitleid.«
Was sie mir erzählte, war bewegend, konnte mich aber nicht von meinem Vorhaben abbringen: Die Richtung stimmte, jetzt hieß es dranbleiben um jeden Preis. Auch wenn es ein wenig auf Kosten des Gewissens ging.
» Sie haben recht: Die Situation dieser Leute ist viel schlimmer. Außerdem muss es für sie sehr schmerzlich sein, dass überall so viele Deutsche herumlaufen, die sich pudelwohl fühlen.«
» Wahrscheinlich schon …«
» Und vor allem ist es sicher hart für sie zu wissen, dass die Regierung des Landes, in das sie sich geflüchtet haben, dem Dritten Reich so viele Zugeständnisse macht.«
» Ja, vermutlich …«
» Und dass es sogar portugiesische Unternehmer gibt, die ihre Geschäfte ankurbeln, indem sie saftige Verträge mit den Nazis schließen …«
Diesen letzten Satz gab ich in einem schwerfälligen, düsteren Ton von mir, senkte dabei die Stimme und näherte mich ihr. Wir sahen uns in die Augen, und keine war bereit, als Erste den Blick abzuwenden.
» Wer sind Sie?«, fragte sie schließlich mit kaum hörbarer Stimme. Sie hatte sich vom Tisch gegen die Stuhllehne zurückgelehnt, wie um Distanz zu mir zu schaffen. In ihrem unsicheren Tonfall schwang Angst mit, ihre Augen jedoch lösten sich nicht eine Sekunde von den meinen.
» Bloß eine Schneiderin«, flüsterte ich. » Eine einfache arbeitende Frau wie Sie selbst, der das, was um uns herum geschieht, ebenso wenig gefällt wie Ihnen.«
Ich merkte, wie sich ihr Hals anspannte und sie schluckte, und dann stellte ich zwei Fragen. Langsam. Ganz langsam.
» Was treibt da Silva mit den Deutschen, Beatriz? In was ist er verwickelt?«
Sie schluckte wieder, und ihre Halsmuskeln bewegten sich, als versuchte sie einen Elefanten hinunterzuwürgen.
» Ich weiß nichts«, brachte sie schließlich leise heraus.
In diesem Moment erschallte von der Tür her eine zornige Stimme.
» Erinnere mich daran, dass ich nie wieder in dem Gasthaus in der Rua do São Julião essen gehe! Sie haben über eine Stunde gebraucht, um uns zu bedienen, und dabei muss ich noch so viel vorbereiten, bevor Don Manuel wiederkommt! Ach! Entschuldigen Sie, Señorita Agoriuq, ich wusste nicht, dass Sie hier sind …«
» Ich wollte gerade gehen«, sagte ich mit gespielter Unbefangenheit und nahm meine Tasche. » Ich wollte Señor da Silva einen Überraschungsbesuch abstatten, aber Señorita Oliveira hat mich aufgeklärt, dass er verreist ist. Na, dann komme ich eben ein andermal wieder.«
» Vergessen Sie Ihre Zigaretten nicht«, hörte ich hinter mir.
Beatriz Oliveira sprach noch immer mit belegter Stimme. Als sie mir die Zigarettenschachtel entgegenstreckte, nahm ich ihre Hand und drückte sie fest.
» Denken Sie darüber nach.«
Ich verzichtete auf den Aufzug und nahm die Treppe. Beim Hinuntergehen ließ ich die Szene noch einmal vor meinem geistigen Auge
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