Das Echo der Traeume
langsam auf mich zu.
» Weshalb interessiert es dich heute noch, warum ich nach Marokko gekommen bin?«
» Einmal, vor Jahren, habe ich einem Mann mein Herz geöffnet, der sein wahres Gesicht nicht zeigte, und es hat mich unendlich viel Kraft gekostet, bis die Wunden in meiner Seele verheilt sind. Ich will nicht, dass mir mit dir das Gleiche passiert. Ich will keine Lügen mehr und keine Heimlichtuereien. Ich will keine Männer mehr, die nach Lust und Laune über mich verfügen, die gehen und kommen, wann sie wollen, und sei es, um mir das Leben zu retten. Deshalb will ich alle deine Karten sehen, Marcus. Ein paar von den meinen habe ich schon aufgedeckt: Ich weiß, für wen du arbeitest, und ich weiß, dass du dich nicht unbedingt Handelsgeschäften widmest, genauso wenig wie du zuvor Journalist warst. Aber ein paar Lücken in deiner Biografie muss ich noch füllen.«
Endlich setzte er sich auf die Lehne eines Sofas. Mit einem Bein stützte er sich am Boden ab, das andere schlug er darüber. Mit geradem Rücken saß er da, das Glas noch in der Hand, Anspannung im Gesicht.
» Einverstanden«, meinte er nach ein paar Sekunden. » Ich bin bereit zu reden. Unter der Voraussetzung, dass auch du ehrlich zu mir bist. In allem.«
» Ja, danach, ich verspreche es dir.«
» Erzähl mir, was du bereits über mich weißt.«
» Dass du zum britischen Militärgeheimdienst gehörst. Zum SIS , zum MI 6, oder wie du ihn nennen willst.«
In seinem Gesicht zeigte sich keine Spur von Überraschung. Wahrscheinlich hatten sie ihn darauf trainiert, seine Gefühle zu verbergen. Anders als bei mir. Mich hatten sie in keiner Weise ausgebildet, weder vorbereitet noch geschützt: Mich hatten sie einfach nackt den hungrigen Wölfen vorgeworfen. Doch ich lernte dazu. Allein und unter großen Mühen, immer wieder stolperte ich, fiel hin und stand wieder auf. Ging weiter: zuerst ein Fuß, dann der andere. Jedes Mal mit einem etwas festeren Schritt. Mit hoch erhobenem Kopf, den Blick nach vorn gerichtet.
» Ich weiß nicht, wie du an diese Information gekommen bist«, erwiderte er nur. » Aber es ist egal. Ich nehme an, dass deine Quellen vertrauenswürdig sind und es keinen Sinn hätte, das Offensichtliche abzustreiten.«
» Ein paar Sachen möchte ich schon noch wissen.«
» Wo soll ich anfangen?«
» Zum Beispiel an dem Tag, als wir uns kennengelernt haben. Aus welchem Grund du wirklich nach Marokko gekommen bist.«
» In Ordnung. Der Hauptgrund war, dass man in London nur sehr spärliche Informationen darüber hatte, was im Protektorat vor sich ging, und verschiedene Quellen berichteten, dass die Deutschen sich dort mit Zustimmung der spanischen Behörden breitmachten. Unser Geheimdienst besaß kaum Informationen über Hochkommissar Beigbeder: Er gehörte nicht zu den bekannten Militärs, man wusste nicht, wie er tickte und welche Pläne er hatte. Und vor allem kannten wir seine Haltung gegenüber den Deutschen nicht, die in dem Gebiet, das ihm unterstand, machten, was sie wollten.«
» Und was hast du herausbekommen?«
» Dass die Deutschen, wie wir schon vermuteten, nach Lust und Laune dort agieren konnten, manchmal mit seiner Zustimmung, manchmal ohne sie. Du selbst hast mir zum Teil geholfen, an diese Informationen zu kommen.«
Ich überhörte den Seitenhieb.
» Und über Beigbeder?«, fragte ich.
» Über ihn habe ich das herausgefunden, was du auch schon weißt. Dass er ein intelligenter und ziemlich eigenwilliger Typ war – oder vermutlich noch ist.«
» Und warum haben sie dich nach Marokko geschickt, wo du doch in einem so elenden Zustand warst?«
» Wir wussten, dass Rosalinda Fox, eine Landsmännin, dem Hochkommissar gefühlsmäßig verbunden war. Ein solches Geschenk des Himmels war für uns die allerbeste Gelegenheit. Aber es war zu riskant, sie direkt anzusprechen. Sie war uns zu wertvoll, als dass wir es hätten wagen können, sie durch eine ungeschickt ausgeführte Operation zu verlieren. Man musste den richtigen Moment abwarten. Und als man erfuhr, dass sie für eine Freundin Hilfe suchte, deren Mutter evakuiert werden sollte, kam die Maschinerie in Gang. Und man entschied, dass ich die geeignete Person sei für diese Mission, denn ich hatte in Madrid Kontakt zu jemandem, der solche Evakuierungen in Richtung Mittelmeer durchführte. Ich selbst hatte London punktuell über alle Schritte von Lance informiert, deshalb befand man, dass ich das perfekte Alibi hatte, um in Tetuán aufzutauchen und mich Beigbeder
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