Das Echo der Traeume
nicht bewusst gewesen. Da Silva würde ich wahrscheinlich nie mehr wiedersehen. Bei Hillgarth und Marcus war ich mir jedoch sicher, dass ich sie noch lange um mich haben würde. Von Letzterem wünschte ich mir ganz konkret eine Nähe, wie ich sie in den ersten Stunden dieses Morgens erlebt hatte: eine liebevolle, körperliche Nähe, die mich noch jetzt erschaudern ließ. Doch zuerst musste ich die Grenzen des Terrains abstecken. Klar und eindeutig. Sichtbar. Wie jemand, der einen Zaun oder mit Kreide einen Strich auf dem Boden zieht.
Als ich nach Hause kam, fand ich einen Umschlag vor, den jemand unter der Tür durchgeschoben hatte. Er trug den Briefkopf des Hotels Palace, und innen steckte eine Karte, auf der geschrieben stand:
» Ich fahre nach Lissabon zurück. Übermorgen komme ich wieder. Warte auf mich.«
Natürlich würde ich auf ihn warten. Wie und wo ich ihn sehen würde, das zu organisieren schaffte ich in ein paar Stunden.
In jener Nacht ignorierte ich wieder einmal ohne Gewissensbisse die vorgegebenen Anweisungen. Als ich Hillgarth nachmittags drei Stunden lang ohne Pause bis ins letzte Detail über die Besprechung in da Silvas Landhaus informiert hatte, fragte ich ihn nach dem Stand der Dinge bei den Listen, von denen er mir bei unserem Treffen am Tag nach dem Vorfall im Hippodrom erzählt hatte.
» Alles wie gehabt. Im Moment wissen wir nichts Neues.«
Das bedeutete, dass mein Vater weiterhin auf der Liste der Britensympathisanten und ich auf der Liste der Nazifreunde stand. Sehr schade, wirklich, denn nun würden sich unsere Wege wieder kreuzen.
Ich erschien bei ihm, ohne meinen Besuch anzukündigen. Die Gespenster aus einer anderen Zeit erhoben wütenden Protest, als sie mich das Haus betreten sahen, und brachten Erinnerungen an den Tag zurück, als meine Mutter und ich voller Unruhe diese Treppe hinaufgestiegen waren. Zum Glück verschwanden sie bald wieder und nahmen auch die vergilbten und bitteren Erinnerungen mit sich, die ich lieber vergaß.
Es öffnete mir ein Dienstmädchen die Tür, das in nichts an die alte Servanda erinnerte.
» Ich muss sofort Señor Alvarado sprechen. Es ist dringend. Ist er zu Hause?«
Sie nickte verwirrt. Mein Auftreten war wohl zu forsch.
» In der Bibliothek?«
» Ja, aber …«
Ehe sie den Satz beenden konnte, war ich schon drinnen.
» Danke, ich weiß, wo ich ihn finde.«
Es freute ihn, mich zu sehen, viel mehr, als ich gedacht hätte. Vor meiner Abreise nach Portugal hatte ich ihm eine kurze Nachricht geschickt, damit er Bescheid wusste, doch irgendetwas war ihm wohl seltsam vorgekommen. Sehr überstürzt, das Ganze, wird er gedacht haben, zu kurz nach der hinterlistigen Ohnmachtsszene im Hippodrom. Es beruhigte ihn, dass ich wohlbehalten zurück war.
Die Bibliothek sah noch so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Vielleicht mit noch mehr Büchern und Papierbergen: Tagebücher, Briefe, stapelweise Zeitungen. Alles andere war wie vor etlichen Jahren, als mein Vater, meine Mutter und ich dort zusammensaßen. Es war das erste Mal, dass wir drei zusammen gewesen waren, und auch das letzte Mal. An jenem fernen Herbsttag war ich schrecklich nervös gewesen und noch sehr naiv, bedrückt und befangen angesichts der unbekannten Welt, die mich erwartete. Nun, fast sechs Jahre später, besaß ich viel mehr Selbstsicherheit, durch Schicksalsschläge, durch meine Arbeit, durch Rückschläge und meine Sehnsüchte. Und niemand konnte sie mir jemals wieder nehmen. Mochte der Wind auch noch so stark wehen, mochte die Zukunft auch noch so schwer werden, ich wusste, ich war stark genug, allen Schwierigkeiten zu trotzen.
» Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Gonzalo.«
» Was du willst.«
» Ich möchte ein kleines privates Fest geben. Hier, in deinem Haus, am Dienstagabend. Du und ich und drei Gäste. Zwei von ihnen müsstest du selbst einladen, aber ohne dass sie erfahren, dass ich auch da sein werde. Es wird keine Probleme geben, denn ihr kennt euch bereits.«
» Und der dritte Gast?
» Um den kümmere ich mich.«
Ohne jede Nachfrage, ohne jeden Vorbehalt willigte er ein. Trotz meines ungewöhnlichen Verhaltens, meines überstürzten Verschwindens und meiner falschen Identität schien er mir blindlings zu vertrauen.
» Uhrzeit?«, fragte er nur noch.
» Ich werde irgendwann am Nachmittag kommen. Der Gast, den du noch nicht kennst, kommt um sechs. Ich muss mit ihm reden, bevor die anderen kommen. Kann ich dafür die Bibliothek benützen?«
» Aber
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