Das Echo der Traeume
Marktständen, Tieren, Stimmen und Dschellabas im Kopf. Ich wanderte ziellos durch die Gassen, und mehrere Male musste ich mich an eine Mauer pressen, wenn hinter mir die Hupe eines Automobils ertönte oder irgendein Marokkaner, der eilig Ware transportierte, mit dem Ruf balak, balak für freie Bahn sorgte. Bei meinem ziellosen Umherstreifen kam ich irgendwann am englischen Friedhof vorbei, an der katholischen Kirche und der Calle Siagin, der Calle de la Marina und der Großen Moschee. Ich ging und ging, ohne zu wissen, wie lange, ohne Müdigkeit zu verspüren oder etwas zu empfinden, getrieben von einer fremden Kraft, die meine Beine bewegte, als gehörten sie zu einem Körper, der nicht der meine war. Ich hätte noch viel länger weitergehen können: Stunden, Nächte, vielleicht Wochen, Jahr um Jahr bis ans Ende meiner Tage. Doch es kam anders, denn während ich wie ein Gespenst an den Escuelas Españolas vorbeischlich, hielt an der Cuesta de la Playa neben mir ein Taxi.
» Soll ich Sie irgendwo hinfahren, Mademoiselle?«, fragte der Fahrer.
Ich glaube, ich nickte zustimmend. Wegen des Koffers wird er gedacht haben, dass ich verreisen wollte.
» Zum Hafen, zum Bahnhof, oder nehmen Sie den Bus?«
» Ja.«
» Ja was?«
» Ja.«
» Ja, den Bus?«
Wieder bejahte ich stumm. Ob Autobus oder Zug, ein Schiff oder ein steiler Abgrund, es war mir egal. Ramiro hatte mich verlassen, und ich wusste nicht, wohin ich sollte, also war jeder Ort so schlecht wie der andere. Oder noch schlechter.
6
Sanft versuchte eine Stimme, mich zu wecken, und mit schier übermenschlicher Anstrengung gelang es mir, die Augen ein wenig zu öffnen. Neben mir registrierte ich zwei Gestalten: zunächst verschwommen, dann deutlicher. Eine davon war ein Mann mit grauem Haar, dessen unscharfes Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam. Die zweite Silhouette entpuppte sich als Nonne mit blütenweißer Haube. Ich bemühte mich, mich zu orientieren, konnte aber über meinem Kopf nur eine hohe Decke und Betten links und rechts von mir erkennen. Ich nahm den Geruch von Medizin wahr und sah, wie das Sonnenlicht durch die Fenster flutete. Da wurde mir klar, dass ich mich wohl in einem Spital befand. Die ersten Worte, die ich wisperte, sind mir noch immer im Gedächtnis.
» Ich will nach Hause.«
» Und wo ist dein Zuhause, meine Tochter?«
» In Madrid.«
Mir schien, als würden sich die beiden einen verstohlenen Blick zuwerfen. Die Nonne ergriff meine Hand und drückte sie sacht.
» Ich glaube, das wird im Moment nicht gehen.«
» Wieso?«, fragte ich.
Der Mann antwortete:
» Der Verkehr über die Meerenge ist unterbrochen. Es wurde der Kriegszustand ausgerufen.«
Ich begriff nicht, was das bedeutete, denn kaum waren die Worte an mein Ohr gedrungen, wurde mir schwarz vor Augen und ich fiel in einen nicht enden wollenden Schlaf, aus dem ich tagelang nicht erwachte. Als ich es endlich tat, musste ich noch eine Weile im Krankenhaus bleiben. Jene Wochen im Hospital Civil von Tetuán halfen mir, meine Gefühle zu ordnen und die Tragweite dessen zu ermessen, was sich in den letzten Monaten wohl zugetragen hatte. Aber das war erst gegen Ende meines Aufenthaltes, in den letzten Tagen. Zuvor – egal, ob am Morgen oder am Nachmittag, in den frühen Morgenstunden oder zur Besuchsstunde, in der nie jemand für mich kam, oder wenn man mir das Essen brachte, von dem ich keinen Bissen anrührte – war das Einzige, was ich tat, weinen. Ich dachte nicht nach, ich grübelte nicht, ich erinnerte mich nicht einmal. Ich weinte nur.
Nach Tagen, als meine Augen austrockneten, weil ich keine Tränen mehr hatte, begannen die Erinnerungen wie bei einer Parade an meinem Bett aufzumarschieren. Ich konnte förmlich sehen, wie sie auf mich zukamen, wenn sie im Gänsemarsch durch die hintere Tür des Saals hereinspazierten, jenem großen, lichtdurchfluteten Schiff. Lebendige, autarke, große und kleine Erinnerungen, die sich eine nach der anderen näherten, rasch auf die Matratze stiegen und meinen Körper hinaufkletterten, bis sie sich durch ein Ohr oder die Poren oder unter den Nägeln hindurch in mein Gehirn fraßen und es ohne einen Funken Mitleid mit Bildern und Momentaufnahmen malträtierten, an die ich aus freien Stücken lieber nie mehr hätte denken wollen. Und später, als die Schar der Erinnerungen zwar noch immer regelmäßig kam, ihr Erscheinen jedoch von Mal zu Mal weniger Aufruhr verursachte, befiel mich unbarmherzig wie ein Hautausschlag das Bedürfnis,
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