Das Echo der Traeume
keine Rolle, ob sie Mohammedanerin oder Christin ist. Befehl ist Befehl, und der Feldwebel hat gesagt, dass sich jeder ausweisen muss, der hier durchwill.«
» So ein Schwachsinn, Churruca, du bist ja dumm! Wir haben dir doch schon hundertmal erklärt, dass das für Spanier gilt, nicht für die Muselmanen. Du bist wirklich total begriffsstutzig, Mann«, meinte der andere.
» Ihr kapiert die Befehle nicht, ich schon. Also, Señora, weisen Sie sich aus!«
Ich dachte, ich würde gleich ohnmächtig. Mir war klar, das wäre unwiderruflich das Ende. Ich hielt die Luft an und spürte, wie sich am ganzen Körper die Härchen aufstellten.
» Ich sag’s ja, du bist echt schwer von Begriff, Churruca!«, meinte sein Kollege, der hinter ihm stand. » Die Einheimischen gehen doch nicht mit Ausweispapieren zum Bahnhof! Wann kapierst du endlich, dass das hier Afrika ist und nicht die Plaza Mayor in deinem Heimatort!«
Zu spät: Der gewissenhafte Soldat war keine zwei Schritte mehr von mir entfernt und streckte schon erwartungsvoll die Hand nach einem Dokument aus, während er zwischen den Falten meines Umhangs meinen Blick suchte. Es gelang ihm nicht, denn ich starrte wie gebannt zu Boden, vielmehr auf seine schlammverschmierten Stiefel oder meine alten Schlappen beziehungsweise auf den knappen halben Meter, der beide Paar Schuhe voneinander trennte.
» Mensch, wenn der Feldwebel herausfindet, dass du eine völlig unverdächtige Marokkanerin belästigt hast, kommst du für drei Tage bei Wasser und Brot in den Bau.«
Diese düstere Aussicht brachte besagten Churruca endlich zur Vernunft. Da ich den Blick noch immer fest auf den Boden heftete, konnte ich das Gesicht meines Retters nicht sehen. Doch die Androhung eines Arrestes verfehlte nicht ihre Wirkung: der gestrenge und unnachgiebige Soldat zog, nachdem er ein paar bange Sekunden lang über die möglichen Konsequenzen nachgedacht hatte, seine Hand zurück, drehte sich um und ging davon.
Ich pries die Besonnenheit des Kameraden, der ihn gebremst hatte, und als die vier Soldaten wieder unter dem Rundbogen beieinanderstanden, drehte ich mich einfach um und ging ziellos weiter. Langsam setzte ich meinen Weg über den Bahnsteig fort, wobei ich mich nach Kräften bemühte, meinen Gleichmut wiederzufinden. Als die Anspannung nachließ, konnte ich mich endlich daranmachen, nach den Toiletten zu suchen. Ich sah mich genauer um und entdeckte zwei schlafende Araber, die mit dem Rücken an eine Mauer gelehnt dasaßen. Ein ausgemergelter Hund lief über die Gleise. Doch schon bald hatte ich gefunden, wonach ich suchte. Glücklicherweise befand sich das stille Örtchen fast am Ende des Bahnsteigs, also weit weg von den Soldaten. Mit angehaltenem Atem stieß ich die Tür aus geriffeltem Glas auf und stand in einem kleinen Vorraum. Es war ziemlich dunkel, aber ich suchte lieber nicht nach einem Schalter. Es war mir lieber, wenn meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten. Links von mir erkannte ich undeutlich das Schild für die Herrentoilette, rechts von mir das für die Damen. Und am Ende, an der Wand, entdeckte ich etwas, das wie ein Haufen Stoff aussah, in den langsam Bewegung kam. Ein Kopf, der unter einer Kapuze steckte, kam zum Vorschein. Unsere Blicke kreuzten sich.
» Bringen Sie die Ware?«, fragte eine leise Stimme hastig auf Spanisch.
Ich nickte zustimmend, worauf unter den Stoffmassen ein Mann zum Vorschein kam, der sich – wie ich – als Einheimischer verkleidet hatte.
» Wo ist sie?«
Ich schob den Gesichtsschleier beiseite, damit ich leichter sprechen konnte. Dann öffnete ich den Umhang, unter dem die über dem Nachthemd mit Stoffstreifen festgebundenen Waffen zum Vorschein kamen.
» Hier.«
» Du lieber Himmel!«, murmelte er nur. Mit diesen drei Wörtern brachte er ein ganzes Spektrum von Gefühlen zum Ausdruck: Erstaunen, Angst, Nervosität. Sein Ton war ernst.
» Können Sie die Waffen alleine abmachen?«, erkundigte er sich als Nächstes.
» Das braucht aber seine Zeit«, flüsterte ich.
Er deutete auf das Damenklo, und wir beiden traten ein. Es gab nicht viel Platz. Durch ein kleines Fenster schien der Mond herein. Sein Licht wurde schon schwächer, doch es würde ausreichen.
» Schnell, schnell, wir dürfen keine Minute verlieren. Gleich kommt die Wachablösung, und die stellt den ganzen Bahnhof auf den Kopf und kontrolliert alles gründlich, bevor der erste Zug die Stadt verlässt. Ich werde Ihnen wohl oder übel helfen müssen«, kündigte er an,
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