Das Echo der Traeume
Nahmen meine Gegenwart gar nicht wahr, als sei ich unsichtbar, und setzten eilig ihren Weg und ihr Gespräch fort. Sie redeten über Einheiten und Munition, Sachen, von denen ich nichts verstand und auch nichts verstehen wollte. » Zweihundert, zweihundertfünfzig höchstens«, sagte der eine im Vorbeigehen. » Aber nein, aber nein, was redest du da, Mann?«, entgegnete der andere heftig. Ihre Gesichter konnte ich nicht sehen, denn ich wagte es nicht aufzublicken, aber als ich merkte, dass sich ihre Schritte entfernten, ging ich schneller und holte endlich ganz tief Luft.
Gleich darauf wurde mir jedoch klar, dass ich mich zu früh gefreut hatte, denn als ich mich umsah, musste ich feststellen, dass ich nicht mehr wusste, wo ich war. Um nicht die Orientierung zu verlieren, hätte ich drei oder vier Ecken früher abbiegen müssen, allerdings hatte mich das unerwartete Auftauchen der beiden Soldaten derart aus der Fassung gebracht, dass ich einfach weiterging. Auf einmal hatte ich mich verirrt. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Ich war zwar schon oft durch die Gassen der Altstadt gestreift, aber ihre Geheimnisse und Mysterien waren mir nicht vertraut. Ohne Tageslicht, ohne das alltägliche Treiben und die dazugehörigen Geräusche war ich verloren – ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich mich befand.
Ich beschloss zurückzugehen, um mir die Strecke wieder in Erinnerung zu rufen, doch es gelang mir nicht: Als ich felsenfest davon überzeugt war, um die nächste Ecke läge ein mir bekannter Platz, stand ich vor einem Torbogen. Als ich damit rechnete, eine Passage vorzufinden, stieß ich auf eine Moschee oder eine steile Treppe. Schwerfällig bewegte ich mich durch die verwinkelten Gassen und versuchte verzweifelt an jeder Ecke, mir die tagsüber dort herrschende Betriebsamkeit in Erinnerung zu rufen. Aber je länger ich herumirrte, desto verlorener fühlte ich mich in jenem Gassengewirr, das die Gesetze des Rationalen außer Kraft setzte. Da die Handwerker schliefen und ihre Geschäfte geschlossen waren, wollte es mir nicht gelingen zu unterscheiden, ob ich mich in dem Teil der Altstadt befand, in dem tagsüber die Kesselschmiede und Klempner zu Hause waren, oder ob ich schon bei den Spinnern, Webern und Schneidern angekommen war. Hier, wo sonst im Schein der Sonne die mit Honig gesüßten Leckereien, die goldbraunen Brotlaibe, alle Arten von Gewürzen und die Basilikumsträußchen feilgeboten wurden, die mir zur Orientierung verholfen hätten, fand ich nun lediglich verriegelte Türen und verrammelte Verkaufsstände vor. Die Zeit schien stillzustehen. Ohne die Händler und die Kunden, ohne die vielen mit Körben beladenen Esel oder die zwischen Gemüse und Orangen am Boden kauernden Frauen aus dem Rif-Gebirge wirkte alles wie ein leeres Bühnenbild. Meine Nervosität wuchs. Ich wusste nicht, wie spät es war, doch mir war klar, dass mir bis sechs Uhr nicht mehr viel Zeit blieb. Ich beschleunigte meine Schritte, verließ eine Gasse, ging in eine andere, in noch eine und wieder eine, kehrte um, änderte erneut die Richtung. Nichts. Nicht eine Spur, nicht ein Hinweis: Alles hatte sich in Windeseile in ein teuflisches Labyrinth verwandelt, aus dem es kein Entrinnen gab.
Unversehens gelangte ich in die Nähe eines Hauses, über dessen Tür eine weithin sichtbare Laterne brannte. Auf einmal vernahm ich Gelächter und Stimmengewirr. Ein paar Leute versuchten – von einem verstimmten Klavier begleitet – mehr schlecht als recht, ein Lied zu singen. Ich entschloss mich, näher heranzugehen. Vielleicht würde ich dort einen Hinweis bekommen, sodass ich mich wieder orientieren konnte. Es trennten mich nur noch wenige Meter von meinem Ziel, als ein Spanisch sprechendes Paar schwankend aus dem Lokal stolperte: ein offensichtlich betrunkener Mann, der sich an eine ältere Frau mit gefärbtem blondem Haar klammerte, die schallend lachte. Da war mir klar, dass ich bei einem Bordell gelandet war. Doch es war schon zu spät, um mit schleppendem Gang die ältliche Einheimische vorzutäuschen, denn das Paar war nur noch wenige Schritte von mir entfernt. » Na, dunkeläugige Schönheit, wohin des Wegs? Komm, kleine mora, ich will dir was zeigen, sieh nur, sieh gut her, meine Kleine«, brabbelte der Mann und streckte eine Hand nach mir aus, während er sich mit der anderen in den Schritt fasste. Die Frau versuchte ihn zurückzuhalten und packte ihn kichernd am Arm, während ich beiseitesprang und schleunigst die Flucht
Weitere Kostenlose Bücher