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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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was mir auffiel, war die große Uhr an der Wand. Viertel vor sechs. Erleichtert seufzte ich unter meinem Schleier: Ich war noch nicht zu spät. Bewusst langsam ging ich durch die Halle und suchte die Umgebung ab, wobei mir zugutekam, dass die Kapuze meine suchenden Blicke verbarg. Die Fahrkartenschalter waren noch geschlossen. Lediglich ein alter Marokkaner lag auf einer Bank, ein Bündel zu seinen Füßen. Am anderen Ende der Halle führten zwei große Türen zum Bahnsteig. Hinten auf der linken Seite war eine weitere Tür, durch die man geradewegs ins Bahnhofslokal kam. Zumindest versprach das ein Schild. Ich suchte die Tafel mit den Fahrplänen und entdeckte sie rechts von mir. Ich wollte sie mir gar nicht ansehen, sondern setzte mich auf die Bank direkt darunter und wartete. Kaum hatte ich mich dort niedergelassen, durchströmte mich eine ungeheure Erleichterung. Bis dahin war mir gar nicht aufgefallen, wie sehr es mich angestrengt hatte, mit jener bleiernen Last ohne Pause eine so weite Strecke zurückzulegen.
    Obwohl während der ganzen Zeit, in der ich reglos dasaß, nicht eine Menschenseele in der Eingangshalle auftauchte, vernahm ich deutlich verschiedene Geräusche, die mir sagten, dass ich nicht allein war. Manche kamen von draußen, vom Bahnsteig. Schritte und Männerstimmen, die zum Teil nur leise an mein Ohr drangen, aber auch ganz schön laut wurden. Es waren junge Stimmen. Ich vermutete, dass es sich um Soldaten handelte, die den Auftrag hatten, den Bahnhof zu überwachen. Krampfhaft bemühte ich mich, nicht daran zu denken, dass sie womöglich ausdrücklich Order hatten, rücksichtslos auf jeden Verdächtigen zu schießen. Aus dem Bahnhofslokal drangen ab und zu auch ein paar Geräusche zu mir hinüber. Es beruhigte mich, sie zu hören, denn auf diese Weise wusste ich, dass der Wirt bereits da war und arbeitete. Die folgenden zehn Minuten verstrichen mit aufreizender Langsamkeit. Candelaria hatte mich angewiesen, zwanzig Minuten abzuwarten, doch dafür war nicht mehr die Zeit. Als die Zeiger der Uhr auf fünf vor sechs standen, sammelte ich meine letzten Kraftreserven, erhob mich schwerfällig und machte mich auf den Weg.
    Die Gaststätte war groß und hatte mindestens ein Dutzend Tische. Alle waren frei, bis auf einen. Dort schlief ein Mann, den Kopf auf die überkreuzten Arme gebettet, eine leere Weinkaraffe neben sich. Ich ging mit schlurfenden Schritten zur Theke hinüber, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was ich sagen sollte oder was ich zu hören bekommen würde. Hinter dem Tresen stand ein dürrer Marokkaner mit einer schwach glimmenden Kippe zwischen den Lippen, der ordentlich Tassen und Teller aufeinanderstapelte. Der verschleierten Frau, die geradewegs auf ihn zukam, schenkte er dem Anschein nach nicht die geringste Beachtung. Als ich an der Theke stand, sagte er laut und vernehmlich: » Erst um halb sieben, erst um halb sieben fährt der Zug.« Gleich darauf flüsterte er noch ein paar Worte auf Arabisch, die ich nicht verstand. » Ich bin Spanierin und verstehe Sie nicht«, murmelte ich durch meinen Schleier. Ungläubig starrte er mich mit offenem Mund an, sodass die Zigarettenkippe auf dem Boden landete. Hastig übermittelte er mir folgende Nachricht: » Gehen Sie zu den Toiletten am Bahnsteig und verschließen Sie die Tür. Sie werden bereits erwartet.«
    Langsam machte ich mich auf den Weg zurück in die Eingangshalle und von dort hinaus in die Nacht. Doch zuvor wickelte ich mich sorgfältig in meinen Umhang und zog den Schleier so tief ins Gesicht, dass er fast meine Augenbrauen berührte. Der breite Bahnsteig schien leer, ihm gegenüber befand sich lediglich das Felsmassiv des dunkel daliegenden Gorgues. Ein Grüppchen Soldaten stand beieinander. Die vier Männer rauchten und unterhielten sich leise unter einem der Rundbögen, durch die man zu den Gleisen gelangte. Sie hielten inne, als sie meinen Schatten kommen sahen. Ich bemerkte, wie ihre Körper sich anspannten, wie sie ihre Gewehre zurechtrückten.
    » Halt! Stehen bleiben!«, rief einer von ihnen. Ich merkte, wie mein Körper unter der metallenen Last der Waffen erstarrte.
    » Lass sie, Churruca. Siehst du denn nicht, dass es eine Einheimische ist?«, sagte darauf einer der anderen.
    Ich blieb stehen, machte keinen Schritt vor oder zurück. Auch die Soldaten rührten sich nicht und blieben, wo sie waren. Keine zwanzig oder dreißig Meter von mir entfernt diskutierten sie, was zu tun sei.
    » Für mich spielt es

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