Das Echo der Vergangenheit
für einen Sinn hatte es, wenn Dad jedes Mal alles verdarb, sobald sie jemanden näher kennenlernte? Zuerst würde er andeuten, dass sie zu viel Zeit mit der jeweiligen Person verbrachte und zu viel von bestimmten Leuten hielt – Leuten, die nicht so waren wie ihr Daddy.
Wenn sie diese Andeutungen nicht beherzigte, wurde es schlimmer. Sie hatte zwar ihre Vermutungen, aber sie hatte ihn noch nie beim Stehlen ertappt. Sie verschwanden einfach, wenn jemand bei ihr gewesen war, sodass es aussah, als hätte sie die Sachen genommen, aber das tat sie nicht – niemals. Außer einmal, als sie noch ganz klein gewesen war und mit einem Aufkleber nach Hause gekommen war und ihre Freundin hatte behauptet, sie hätte ihn gestohlen. Vielleicht war er so auf die Idee gekommen.
Nicht, dass irgendjemand glauben würde, dass ein Vater solche Sachen klauen würde. Er konnte ja nichts damit anfangen. Aber es sollte so aussehen, als hätte sie ihre Freunde bestohlen. Und wenn sie es leugnete, sah sie aus wie eine Diebin und eine Lügnerin. Also wollte natürlich niemand mit ihr befreundet sein.
Das Schlimmste war, dass sie diesmal umzogen. Nachdem sie das eine blöde Mal mit Sofie gesprochen hatte, hatte er sie zu der alleinerziehenden Mutter einer Klassenkameradin gebracht und war zwei Tage lang fort gewesen. Er hatte seinem Chef nichts erzählt und seine Termine nicht abgesagt und – logisch! – keine Arbeit mehr gehabt, als er zurückkam. Natürlich würde er den nächsten Chef auch wieder blenden, also war das kein Problem für ihn.
Sie konnte niemanden blenden. Sie traute sich nicht.
Daddy streckte den Kopf in ihr Zimmer. »Hi. Willst du über neulich Abend reden?«
Sie tat nicht so, als müsse sie überlegen, welchen Abend er meinte. »Okay.«
Er kam und setzte sich auf das Fußende ihres Bettes. In seinem Gesicht suchte sie nach der eisigen Wut, aber was sie sah, war noch schlimmer. Sie hatte ihn verletzt. Er strahlte es wie Wellen aus, die sie zu ersticken drohten. Er sah so unglücklich aus, dass sie die Tränen hinunterschlucken musste. »Es tut mir leid, Daddy.«
Er nahm ihre Hand. »Ich hatte gehofft, du hättest das alles vergessen.«
»Sofie vergessen?«
»Du warst doch noch so klein.«
»Ich erinnere mich nicht an sehr viel.« Nur an die Stelle in ihrem Innern, die so wehtat, weil sie über den Verlust nicht hinwegkam.
»Du hast ihre Nummer gefunden, ohne es mir zu sagen.«
Jetzt erwartete sie, das kalte Eis in seinen Augen zu sehen, aber stattdessen schienen sie in die Ferne zu blicken. Wie er die Wand so anstarrte, machte ihr das mehr Angst als seine Wut.
»Es tut mir leid. Ich dachte …« Du willst nicht, dass ich sie anrufe . »Ich wusste nicht, dass es die Sofie war. Und ...«
»Du hast mit ihr gesprochen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur einmal.«
»Ich habe aber die Anrufe gesehen.«
»Ja, aber ich habe nur einmal etwas gesagt. Die anderen Male habe ich nur ihre Stimme gehört.«
Er musterte sie und sagte dann: »Ich habe auch versucht, sie zu finden.«
»Was?« Es kam als ein Flüstern heraus.
Er nickte. »Nach deinem Anruf bin ich zu ihrem Haus gefahren, in ihr Stadtviertel. Aber sie war nicht mehr da.«
Nein. Sie musste da sein. Wie konnte er sie suchen und nicht finden?
»Sie ist weggezogen.«
Es war eine Lüge. Noch eine Lüge. Wut brannte in ihrer Kehle. Sie würde sich übergeben müssen.
Er nahm ihr Handy aus der Tasche. »Möchtest du es wiederhaben?«
Sie konnte nicht sprechen. Es war zu schwer, den Brechreiz zu unterdrücken. Und was spielte es schon für eine Rolle, wenn Sofie fort war? Aber sie nickte.
»Carly, ich habe kein Problem damit, wenn du mit Sofie sprechen willst.«
»Wirklich?« Sie konnte ihren Schock nicht verbergen, obwohl sein Gesichtsausdruck etwas Merkwürdiges an sich hatte. Wenn er doch wusste, dass sie angerufen hatte …
»Aber ich möchte wissen, was sie sagt, in Ordnung?«
Carly schluckte. Ihm alles sagen? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass das falsch war, unrechter als ihre heimlichen Anrufe. Aber war es das? »Okay.«
»Gut.« Er lächelte. »Was soll ich zu essen bestellen?«
* * *
Sofie drehte sich langsam in dem Keller, während die Männer der Spedition die alten Regale durch den Seiteneingang, den Lance entdeckt und freigelegt hatte, hinaustrugen. Das Poltern der Rollwagen auf der hölzernen Rampe erinnerte sie an die rollenden Fässer des betriebsamen Weinguts, das sich einmal über das Land der DiGratias erstreckt hatte.
Nonna
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