Das Echo dunkler Tage
finden.«
Amaia dachte nach.
»Nein. Er will schon, dass wir sie finden, sonst hätte er die Schuhe nicht dorthin gestellt. Aber er wollte erst ungestört sein Werk vollenden, bevor er es der Welt zeigt.«
Bei den Schuhen handelte es sich um Lacklederpumps mit hohem Absatz. Ein Polizist fotografierte sie aus allen Perspektiven. Im Blitzlicht der Kamera funkelten die Schuhe, wodurch sie noch deplatzierter wirkten und fast etwas Magisches hatten, als gehörten sie einer Märchenprinzessin oder als wären sie das Werk eines Konzeptkünstlers.
»Richtig unheimlich. Ich meine das mit den Schuhen. Was bezweckt er damit?«, fragte Zabalza.
»Er markiert sein Territorium. Wie ein Tier. Und das ist er ja auch. Er will uns provozieren.«
»So ein Scheißkerl!«
Sie zwang sich, den Blick von den Schuhen zu lösen, und sah zum Wald. Zabalzas Funkgerät hallte metallisch.
»Haben sie sie gefunden?«
»Noch nicht, wie gesagt, dichter Baumbewuchs, dazu Felswände links und rechts, eine Art natürliche Schlucht.«
Die starken Taschenlampen leuchteten gespenstisch zwischen den kahlen Bäumen auf, als würde es von unten her dämmern. Amaia zog sich Stiefel an und versuchte zu ergründen, wie dieser Wald auf sie wirkte. In diesem Moment schlüpfte Inspector Iriarte aus dem Dickicht.
»Wir haben sie gefunden«, sagte er keuchend.
Amaia stieg hinter Jonan und Zabalza den Abhang hinunter. Der durch den vielen Regen weich gewordene Boden gab unter ihren Füßen nach. Das Wasser war trotz des dichten Geästs bis zum Boden durchgedrungen und hatte die Blätter in einen glitschigen Teppich verwandelt. Sie hangelten sich an den Bäumen hinunter, gingen fast im Slalom, weil sie immer wieder einem Stamm ausweichen mussten. Montes, der sich dicht hinter ihr hielt, fluchte vor sich hin, weil er gerade seine teuren italienischen Schuhe und seine Lederjacke ruinierte, was Amaia mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nahm.
Der Wald mündete in eine Art natürlichen Trichter, links und rechts ragten Felswände auf. Das Kiesufer zu beiden Seiten des Flusses war nur knapp anderthalb Meter breit, das Wasser floss reißend schnell. Polizisten leuchteten mit tragbaren Scheinwerfern das Gelände aus.
Die Arme des Mädchens waren ausgebreitet, die Handflächen zeigten nach oben: wieder diese ominöse Geste der Hingabe. Sie hatte blonde Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, und grüne Augen, die wie beschlagen wirkten. Auch im Tod war sie noch schön, lag da wie eine mystische Figur. Dem Mörder war es gelungen, durch seine Inszenierung Amaias Fantasie zu entzünden, aber diese Augen einer Prinzessin, die vom Dunst des Flusses umwölkt waren und nach Gerechtigkeit zu schreien schienen, holten sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie trat einige Schritte zurück, um ein Gebet zu sprechen. Dann zog sie sich die Handschuhe an, die Montes ihr reichte. Dabei fiel ihr Blick auf Iriarte, der sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund hielt. Als er bemerkte, dass Amaia ihn beobachtete, ließ er sie fallen.
»Ich kenne sie. Kannte sie. Das ist die Tochter der Arbizus«, stammelte er und sah zu Zabalza, damit er es bestätigte. »Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber das ist die Tochter der Arbizus, da bin ich mir sicher.«
»Sie hieß Anne, Anne Arbizu«, sagte Jonan, der einen Bibliotheksausweis in der Hand hielt. »Ihre Tasche lag ein paar Meter weiter oben.« Er leuchtete kurz in die entsprechende Richtung.
Amaia ging vor dem Mädchen in die Hocke und betrachtete die erstarrte Miene, die wie die Parodie eines Lächelns wirkte.
»Wissen Sie, wie alt sie war?«, fragte sie.
»Fünfzehn, höchstens sechzehn«, antwortete Iriarte und kam näher. Plötzlich rannte er weg, krümmte sich einige Meter entfernt zusammen und übergab sich. Niemand sagte etwas, auch nicht, als er wieder zurück war, das Hemd mit einem Taschentuch säuberte und eine Entschuldigung murmelte.
Anne hatte sehr helle Haut; keine farblose, mit Sommersprossen übersäte, sondern eine reine weiße Haut, auf der kein Härchen zu wachsen schien. Wie sie da vom Tau des Flusses überzogen dalag, sah sie aus wie eine Grabstatue aus Marmor. Im Gegensatz zu Carla und Ainhoa hatte sie sich offensichtlich gewehrt. Zwei Fingernägel waren abgebrochen, sodass man das offene Fleisch sah, die anderen wirkten sauber. Der Todeskampf musste länger gedauert haben: Obwohl ihre Augen wie verschleiert wirkten, waren deutlich geplatzte Äderchen zu erkennen, die darauf hinwiesen, dass sie
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