Das Echo dunkler Tage
erstickt war und gelitten hatte. Alles andere war so inszeniert wie bei den Morden zuvor: die Schnur, die sich tief in den Hals gegraben hatte, die aufgeschlitzte und zu beiden Seiten aufgeklappte Kleidung, die bis zu den Knien heruntergezogene Jeans, die rasierte Scham und das klebrige Stück Kuchen auf dem Becken.
Jonan machte Fotos von den Schamhaaren, die der Mörder weggeworfen hatte.
»Wie bei den anderen Mädchen, alles genauso.«
»Verdammt!«, schrie jemand einige Meter flussabwärts, dann ertönte ein Schuss und hallte dröhnend von den Felswänden wider. Kurz waren alle wie gelähmt, dann zogen sie ihre Waffen und zielten in die Richtung, aus der der Knall gekommen war.
»Nichts passiert«, rief derjenige, der eben geschrien hatte. Ein Lichtkegel näherte sich: Der Schütze entpuppte sich als Inspector Montes, der sichtlich beschämt seine Waffe wegsteckte. Begleitet wurde er von einem Beamten in Uniform, der unverhohlen grinste.
»Was war das, Fermín?«, fragte Amaia besorgt.
»Tut mir leid, ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Ich habe das Ufer abgesucht, und plötzlich taucht dieses Viech auf, die größte Ratte, die die Welt je gesehen hat, und starrt mich an, und … Da habe ich eben instinktiv geschossen. Verdammt! Ich hasse Ratten. Hinterher hat mir der Kollege hier erklärt, dass es gar keine Ratte war, sondern …«
»Eine Nutria«, erklärte der uniformierte Beamte. »Die Tiere stammen ursprünglich aus Südamerika. Vor mehreren Jahren sind einige davon aus einer französischen Zuchtfarm in den Pyrenäen entwischt und haben sich prächtig vermehrt. Sind aber eigentlich harmlos.«
»Tut mir leid«, sagte Montes noch einmal. »Ich habe eine Rattenphobie. Wenn ich so ein Tier sehe, drehe ich durch.«
Amaia sah ihn betreten an.
»Morgen kriegen Sie meinen Bericht zu dem Vorfall«, murmelte Montes, der seine Schuhe anstarrte und wortlos beiseitetrat.
Amaia hatte fast Mitleid mit ihm. In den nächsten Tagen würde er jede Menge Spott ertragen müssen. Sie ging wieder vor der Leiche in die Hocke und versuchte, sich voll und ganz auf das Mädchen und die Umgebung zu konzentrieren.
Weil der Wald nicht bis ganz an den Fluss reichte, roch es nicht nach Erde und Flechten, sondern mineralisch, nach Wasser. Deutlich stieg der süßlich-fettige Duft des Txantxangorri auf, aber Amaia nahm noch einen feineren Geruch wahr, den des gerade eingetretenen Todes. Sie keuchte, musste gegen ihre Übelkeit ankämpfen, während sie das Kuchenstück betrachtete, als handelte es sich um ein ekelhaftes Insekt. Und sie fragte sich, wieso er so stark nach Zucker und Butter roch. Dr. San Martín gesellte sich zu ihr.
»Das riecht aber gut«, sagte er.
Amaia sah ihn entsetzt an.
»War ein Scherz.«
Sie erwiderte nichts und stand auf, um ihm Platz zu machen.
»Wobei es wirklich gut riecht. Ich habe nämlich noch nicht zu Abend gegessen.«
Amaia verzog ihr Gesicht, was der Arzt nicht sah, und winkte Richterin Estébanez zu, die trotz Rock und Schnürstiefel mit halbhohem Absatz geschickt den Abhang herunterstieg.
»Sieh mal einer an«, murmelte Montes, der sich noch nicht vollständig von dem Vorfall mit der Nutria erholt hatte. Die Richterin begrüßte ihn kurz, stellte sich zu Dr. San Martín und bat ihn, sie auf den neuesten Stand zu bringen. Zehn Minuten später war sie wieder verschwunden.
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie den Sarg den Abhang hinaufbefördert hatten. Die Kriminaltechniker hatten die Leiche in einen Plastiksack stecken und nach oben ziehen wollen, aber San Martín hatte wegen des dichten Walds auf einem Sarg bestanden, um den Körper keinen unnötigen Beeinträchtigungen auszusetzen. An manchen Stellen hatten die eng stehenden Bäume sie gezwungen, den Sarg senkrecht zu stellen. Und immer wieder hatten sie innehalten müssen, damit die einen Hände die anderen ablösen konnten; außerdem rutschten sie immer wieder aus. Schließlich kamen sie heil oben an und schoben den Sarg in den Leichenwagen, der ihn ins Rechtsmedizinische Institut von Navarra transportieren würde.
Immer wenn auf dem Untersuchungstisch die Leiche einer Minderjährigen lag, überkam Amaia ein Gefühl der Ohnmacht, das in einen Vorwurf gegen die Gesellschaft mündete. Wenn eine Gesellschaft es nicht schaffte, ihre jungen Menschen zu schützen, dann verspielte sie ihre Zukunft, dann scheiterte sie. Sie atmete tief durch und betrat den Autopsiesaal. Dr. San Martín, der vor der Obduktion noch Formulare
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