Das Echo dunkler Tage
Mehlfabrik Ustarroz. Er behauptet, wie hätten zehn Fünfzigkilosäcke bestellt. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht stimmen kann, aber er lässt nicht locker.«
Sie griff sich einen Kugelschreiber, nahm die Kappe ab und tat so, als würde sie etwas in ihren Terminkalender notieren.
»Hat alles seine Ordnung, Ernesto, die Bestellung habe ich aufgegeben. Und ich wusste auch, dass heute geliefert würde, deshalb habe ich dich gebeten, noch etwas länger zu bleiben.«
Ernesto sah sie verwirrt an.
»Aber, Flora, unser Lager ist doch voll. Und außerdem warst du mit der Qualität des neuen Mehls von Lasa zufrieden. Das von Ustarroz haben wir vor einem Jahr probiert und für schlechter befunden. Erinnerst du dich?«
»Sicher erinnere ich mich. Aber ich wollte Ustarroz eine zweite Chance geben, weil mich Lasa auch nicht mehr ganz überzeugt. Es klumpt und ist irgendwie anders gemahlen als früher. Auch der Geruch ist anders. Außerdem hat mir Ustarroz ein gutes Angebot gemacht, und das hat am Ende den Ausschlag gegeben.«
»Und was machen wir mit dem Mehl, das wir schon haben?«
»Das habe ich mit Lasa bereits geregelt. Das Mehl aus dem Lager nehmen sie zurück, und das aus dem Backtrog hier kannst du wegwerfen. Die Qualität stimmt einfach nicht, kann also alles raus.«
Ernesto nickte, war aber alles andere als überzeugt. Er ging zurück zum Eingang und zeigte dem Fahrer, wo er die Säcke hinstellen sollte.
»Ernesto«, rief Flora. Er drehte sich um. »Ich erwarte natürlich äußerste Diskretion von dir. Wenn rauskommt, dass das Mehl schlecht war, kann uns das sehr schaden. Kein Wort also. Wenn ein Mitarbeiter fragt, sagst du einfach, dass man uns ein gutes Angebot gemacht hat, damit erst gar keine Diskussion aufkommt.«
»Selbstverständlich.«
Flora blieb noch eine Viertelstunde in ihrem Büro, spülte ihre Kaffeetasse und reinigte die Espressomaschine. Plötzlich erinnerte sie sich an etwas. Sie vergewisserte sich, dass die Tür abgeschlossen war, und ging zu der Wand, an der der Javier Ciga hing. Sie hatte das Gemälde vor zwei Jahren gekauft, um den Tresor dahinter zu verstecken. Vorsichtig hängte sie es ab und stellte es aufs Sofa. Geschickt drehte sie an den kleinen Knöpfen, bis es klick machte und die Tür aufsprang. In dem Safe lagen Umschläge mit Papieren, ein Bündel Banknoten für Barzahlungen, Mappen mit Dokumenten und ein Säckchen aus Samt. Sie nahm alles heraus, und dahinter kam ein dickes, in Leder gebundenes Haushaltsbuch zum Vorschein. Sie nahm es in die Hand. Es fühlte sich feucht an und war schwerer, als sie es in Erinnerung hatte. Sie legte es auf den Tisch, setzte sich und schlug es auf. Obwohl die Zeitungsausschnitte nicht eingeklebt waren, waren sie keinen Millimeter verrutscht, weil sie schon seit über zwanzig Jahren zwischen diesen Seiten gelegen hatten. Sie waren lediglich verblichen, und die Druckerschwärze war verblasst. Flora blätterte vorsichtig um, um ja die Reihenfolge nicht zu ändern, und las immer wieder den Namen, der ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen war, seit Amaia die Backstube verlassen hatte: Teresa Klas.
Teresa war die Tochter von jugoslawischen Einwanderern, die Anfang der Achtzigerjahre ins Tal von Baztán gezogen waren, angeblich auf der Flucht vor der Justiz, aber das waren nur Gerüchte. Jedenfalls lebten sie sich im Dorf schnell ein, und Teresa, die nicht besonders gut in der Schule war, fing früh an zu arbeiten, betreute die greise Mutter der Berruetas, die kaum noch gehen konnte. Was Teresa an Intelligenz mangelte, machte sie mit Schönheit wett, und das wusste sie. Ihre langen blonden Haare und ihr frühreifer Körper waren im Dorf immer wieder Gesprächsthema. Drei Monate nachdem sie ihre Stelle angetreten hatte, wurde sie tot im Heu aufgefunden. Die Polizei verhörte alle Männer, die auf dem Hof arbeiteten, aber der Täter wurde nie gefasst. Im Dorf hielten sich zu diesem Zeitpunkt viele Wanderarbeiter auf, und man kam zu dem Schluss, dass einer von ihnen Teresa vergewaltigt und ermordet hatte. Teresa Klas. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie das Gesicht dieses Flittchens noch vor sich sehen.
»Teresa«, flüsterte sie. »So viele Jahre ist das jetzt her, und du machst mir immer noch das Leben schwer.« Sie klappte das Haushaltsbuch zu, schob es wieder ganz nach hinten in den Tresor und legte die anderen Dokumente davor. Auch das Samtsäckchen, dessen Seidenband sie am liebsten gelöst hätte, verwahrte sie wieder. Das Rot der
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