Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
Vom Netzwerk:
hatte, warum sie ihn nicht mehr liebte. Sie hörte ihm schweigend zu und erteilte ihm die Absolution, indem sie ihm ein Taschentuch reichte. Dann drehte sie sich um, um nicht Zeugin seiner Tränen zu werden. Sie hatte immer ein offenes Ohr, wenn er von seiner Scheidung erzählte, ertrug es auch geduldig, wenn er bei einem gemeinsamen Bier und oder Wein gegen seine Frau wetterte. Sogar zum Sonntagsessen lud sie ihn ein, und er freundete sich nach anfänglichem Widerstand mit James an. Fermín Montes war ein guter Polizist, vielleicht ein bisschen altmodisch, aber scharfsinnig, und dazu besaß er einen guten Instinkt. Ein angenehmer Kollege, der sich immer respektvoll verhielt, wo andere ihre Machoseite raushängen ließen. Deshalb fand sie es auch so merkwürdig, dass er sich plötzlich wie ein vom Thron gestoßenes Alphatier aufführte.
    Sie drehte sich um und sah zu der Tafel, an der die Fotos der Mädchen hingen. Im Moment gab es Wichtigeres als Fermín Montes.
    Bei Dienstbeginn hatte sie sich mit Vertretern des Dezernats für Verbrechen gegen Minderjährige getroffen. Das Gespräch hatte ihr schnell klargemacht, dass die üblichen Täter-Opfer-Profile nicht zu ihrem Fall passten, sehr wohl aber das kriminologische Profil des Täters selbst. Amaia erinnerte sich an ihr FBI-Seminar. Dort hatte sie gelernt, dass viele Täter die Leiche sexuell inszenierten, um eine persönliche Beziehung zwischen sich und dem Opfer herzustellen, die es eigentlich nicht gab. Die Taten folgten einer klaren Logik, boten keinen Hinweis auf eine psychische Störung. Die Verbrechen waren so perfekt durchdacht, dass sie immer wieder auf die gleiche Art und Weise begangen werden konnten. Der Täter suchte seine Opfer nicht zufällig aus und ließ sich nicht hinreißen, nur weil sich ihm eine Gelegenheit bot. Der eigentliche Mord war nur der letzte Schritt seines Masterplans, um seine psychosexuellen Fantasien auszuleben. Er war ein Getriebener, dessen Hunger nie gestillt werden konnte. Um Befriedigung zu erlangen, musste er eine persönliche Beziehung zu seinen Opfern herstellen, sie zu einem Teil seiner Welt machen, sie sich zu eigen machen auf eine Art, die über das rein Sexuelle hinausging.
    Sie betrachtete noch einmal einzeln die Fotos der Mädchen. Carla lächelte verführerisch, die Lippen knallrot, die Zähne perfekt. Ainhoa sah scheu in die Kamera, wie jemand, der weiß, dass er nicht fotogen ist, und tatsächlich wurde das Bild ihrer aufblühenden Schönheit nicht gerecht. Und dann war da noch Anne, die in die Linse sah wie eine gelangweilte Kaiserin, auf dem Gesicht ein Lächeln zwischen kokett und geheimnisvoll. Amaia konnte sich gut vorstellen, wie ihre grünen Augen verächtlich aufgeblitzt waren, als sie Ros ins Gesicht gelacht hatte. Aber es konnte ja gar nicht sein, weil sie zu dem Zeitpunkt, als Ros sie gesehen haben wollte, schon tot war. Eine Belagile. Eine böse Hexe. Keine Hellseherin, keine Heilerin. Eine Frau mit dunkler Macht, die ihre Seele verkauft hatte. Eine Dienerin des Bösen, die die Tatsachen so lange verdrehen konnte, bis sie sich ihrem Willen beugten. Belagile . Dieses Wort hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gehört, im heutigen Baskisch sagte man Sorgin, Sorgina . Als Belagile wurde früher eine Dienerin des Bösen bezeichnet. Dieses Wort weckte bei Amaia Kindheitserinnerungen, an ihre Oma Juanita, die ihr immer Hexengeschichten erzählt hatte. Legenden, die heute nur noch Folklore waren, Märchen für Touristen, die aber früher zum Volksglauben gehört hatten. Vor nicht allzu langer Zeit hatten die Menschen in dieser Gegend noch an Hexen geglaubt, die mit ihren dunklen Kräften zerstören und töten konnten, wenn sich ihnen jemand in den Weg stellte.
    Sie nahm Hexerei und Hexen des Pfarrers und Anthropologen José Miguel Barandiaran zur Hand, das sie sich gleich am Morgen aus der Bibliothek hatte bringen lassen, und schlug das Wort Belagile nach. Dem Volksglauben nach war eine Frau dann eine Belagile, wenn ihr Körper makellos war, wenn er keinen Fleck und kein Muttermal aufwies. Amaia musste an Anne Arbizus Leiche auf dem Seziertisch denken, die Schilderung der Mutter über den Tag, als sie das Baby mit nach Hause gebracht und untersucht hatte, der häufige Hinweis darauf, wie marmorn Annes weiße Haut gewesen war. Offenbar war es genau diese besondere Haut gewesen, die die Schwägerin von Annes Mutter so sehr in Aufregung versetzt hatte.
    Amaia schlug nach, wie Hexen definiert wurden: »Hexerei

Weitere Kostenlose Bücher