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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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nicht sein, das ist zu viel Geld. Wo hast du das her?«
    »Das ist von meinem Geburtstag, Mama, und ich hab’s gespart, ich schwör’s«, sagte sie und faltete die Hände.
    »Wenn es deins ist, warum bewahrst du es dann nicht zu Hause auf? Und warum hast du überhaupt einen Schlüssel zur Backstube?«
    »Den hat mir … Papa gegeben.«
    Noch während sie es sagte, spürte sie, wie innerlich etwas in ihr zerbrach, weil ihr klar wurde, dass sie ihren Vater verraten hatte.
    Rosario schwieg einige Sekunden. Dann erhob sie die Stimme wie ein Priester, der einen Sünder tadelt.
    »Dein Vater. Immer lässt er dir alles durchgehen, immer verwöhnt er dich. Damit wird er nur erreichen, dass du es im Leben zu nichts bringst. Bestimmt hat er dir auch das Geld gegeben, mit dem du all den Schund gekauft hast, den du in deinem Schulranzen versteckt hast.«
    Amaia antwortete nicht.
    »Bevor ich hergekommen bin, hab ich alles in den Mülleimer geworfen. Du dachtest wohl, du könntest mich hintergehen. Ich weiß schon seit Tagen Bescheid. Nur das mit dem Schlüssel war mir nicht klar.«
    Unwillkürlich griff Amaia unter ihren Pullover. Tränen schossen ihr in die Augen, als ihre Mutter die Geldscheine zusammenfaltete und in ihre Rocktasche steckte.
    »Nicht weinen, Amaia, das ist alles nur zu deinem Besten«, sagte sie mit einem falschen Lächeln und gespielter Sanftmut. »Ich habe dich nämlich lieb.«
    »Nein«, murmelte Amaia.
    »Was hast du gesagt?«
    »Du hast mich nicht lieb.«
    »Ich habe dich nicht lieb, sagst du?« Die Stimme ihrer Mutter klang jetzt wieder bedrohlich.
    »Nein.« Auch Amaias Stimme war lauter geworden. »Du hast mich nicht lieb. Du hasst mich.«
    »Ich habe dich nicht lieb, sagst du«, wiederholte ihre Mutter ungläubig. Es war ihr anzusehen, dass sie allmählich in Rage geriet. Amaia weinte und schüttelte den Kopf.
    »Ich hab dich nicht lieb, sagst du«, presste die Mutter hervor, streckte ihre Hände nach ihr aus, fuchtelte blind vor Wut mit ihnen herum. Amaia wich zurück. Die Schnur, an der der Schlüssel hing, verfing sich in den Fingern ihrer Mutter. Plötzlich spürte Amaia, wie sie sich um ihren Hals schloss, an ihrer Haut rieb, wie die Haut heiß wurde; dann ein Zerren. Sie hoffte, dass der Knoten aufgehen würde, aber der Knoten ging nicht auf, wodurch sie hin und her gerüttelt wurde wie eine Marionette im Sturm. Sie stieß gegen die Brust ihrer Mutter, die ihr eine so heftige Ohrfeige verpasste, dass sie hingefallen wäre, hätte die Schnur sie nicht gehalten. Immer tiefer grub sie sich in ihr Fleisch.
    Amaia hob den Blick, sah ihrer Mutter in die Augen. Adrenalin floss in ihren Adern, machte sie mutig.
    »Nein, du hast mich nicht lieb, du hast mich noch nie lieb gehabt«, schrie sie und riss sich los. Ihre Mutter sah sie verblüfft an. Plötzlich begann sie im Raum umherzugehen, als würde sie verzweifelt etwas suchen.
    Amaia hatte Angst, panische Angst, instinktiv wusste sie, dass sie flüchten musste. Sie drehte sich zur Tür um und rannte los, stolperte aber und fiel hin. Plötzlich verwandelte sich die Backstube in einen Tunnel, und am Ende dieses Tunnels leuchtete die Tür, als würde sie von außen angestrahlt, als würde Licht durch alle Ritzen dringen, während es überall sonst immer dunkler wurde, grauer, als könnten ihre Augen plötzlich keine Farben mehr wahrnehmen.
    Wahnsinnig vor Angst sah sie zu ihrer Mutter auf, gerade noch rechtzeitig, um den Schlag mit der stählernen Teigrolle kommen zu sehen. Sie riss die Hand hoch und spürte noch, wie ihre Finger brachen, bevor der Rand der Rolle ihren Kopf traf. Danach war alles dunkel.
    Amaias Vater sah sich im Fernsehen eine Sportsendung an, als seine Frau plötzlich angekleidet in der Tür stand. Sie sagte kein Wort, keuchte aber heftig.
    »Rosario«, sagte er überrascht und stand auf. »Was ist los?«
    »Amaia«, antwortete sie. »Es ist was passiert.«
    Er rannte los, wie er war, in Morgenmantel und Pyjama. Schnell brannten ihm die Lungen, und das Seitenstechen nahm ihm fast die Luft. Trotzdem rannte er weiter, angetrieben von einer bösen Vorahnung, die in den tiefsten Tiefen seiner Seele zur Eile drängte. Bitte nicht!, flehte er innerlich, bitte nicht!
    Er sah schon von Weitem, dass in der Backstube kein Licht brannte. Hätte Licht gebrannt, hätte man es durch die Schlitze der Fensterläden gesehen, durch das kleine Abzugsfenster unter dem Dach, das sommers wie winters offen stand.
    An der Tür holte Rosario ihn ein und zog

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