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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Lacklederschuhe glänzte sogar im spärlichen Licht des Büros. Während sie mit dem Zeigefinger über die leichte Rundung des Absatzes strich, wurde sie von einem Gefühl der Unruhe erfasst, das ihr neu und lästig war. Sie verschloss den Tresor und hängte das Bild wieder auf. Sorgfältig stellte sie sicher, dass es perfekt in der Waagrechten war. Dann nahm sie ihre Tasche und ging in die Backstube, um nach dem Rechten zu sehen. Sie begrüßte den Fahrer und verabschiedete sich von Ernesto.
    Als Ernesto sicher war, dass Flora weg war, ging er in die Backstube, nahm einige Fünfkilotüten und begann sie mit dem Mehl aus dem Backtrog zu füllen. Zwischendurch hob er die Schaufel und schnupperte an dem Mehl. Es roch wie immer. Dann nahm er etwas davon in die Hand, zerrieb es, probierte.
    »Die Frau spinnt«, murmelte er.
    »Was hast du gesagt?«, fragte der Fahrer, der dachte, er rede mit ihm.
    »Ich sagte, du kannst gern eine Tüte Mehl mit nach Hause nehmen.
    »Ah, danke«, sagte der Mann überrascht.
    Er selbst füllte zehn Tüten, trug sie hinaus zu seinem Auto und legte sie in den Kofferraum. Den Rest schüttete er in einen Müllsack, band ihn zu und brachte ihn zum Container. Der Lastwagenfahrer war fast fertig.
    »Das sind die letzten«, sagte er.
    »Bring sie am besten hierher, die schütte ich gleich in den Backtrog.«
    FRÜHJAHR 1989
    Zu Hause wurde früh zu Abend gegessen, sobald ihr Vater von der Backstube kam. Oft mussten die Mädchen ihre Hausaufgaben hinterher erledigen. Als sie den Tisch abräumten, wandte sich Amaia an ihren Vater.
    »Ich muss noch schnell bei Estitxu vorbei. Ich habe mir nicht richtig aufgeschrieben, welche Hausaufgaben wir machen müssen.«
    »Gut, aber beeil dich«, antwortete ihr Vater, der neben ihrer Mutter auf dem Sofa saß.
    Auf dem Weg zur Backstube sang Amaia vor sich hin, lächelte und tastete nach dem Schlüssel unter ihrem Pullover. Bevor sie aufschloss, vergewisserte sie sich immer, dass niemand in der Nähe war, der es ihrer Mutter erzählen konnte. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss und seufzte erleichtert, wenn es mit einem Klicken nachgab, das im ganzen Laden zu hallen schien. Bevor sie Licht anmachte, schloss sie die Tür und schob den Riegel vor. Sie sah sich um. Wie immer, wenn sie allein herkam, pochte ihr das Herz heftig in der Brust. Gleichzeitig genoss sie das Geheimnis, das sie mit ihrem Vater teilte, die Verantwortung, die dieser Schlüssel bedeutete. Sie ging zu dem Behälter und bückte sich, um den braunen Umschlag hervorzuholen, der dahinter versteckt war.
    »Was machst du hier?« Die Stimme ihrer Mutter hallte durch die leere Backstube. Amaias Muskeln verkrampften sich, als hätte sie einen Stromschlag erlitten, die Hand, die sich nach dem Umschlag gestreckt hatte, schnellte zurück, und sie verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Hintern. Sie hatte Angst. Wie konnte es sein, dass ihre Mutter, die gerade noch in Morgenrock und Pantoffeln vor dem Fernseher gesessen hatte, jetzt plötzlich in der Backstube war? Der Ton in ihrer Stimme war so feindselig, wie sie es noch nie erlebt hatte.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«
    Ohne aufzustehen, drehte sich Amaia langsam um und sah ihrer Mutter direkt in die kalten Augen. Sie trug normale Straßenkleidung und Schuhe mit halbhohen Absätzen. Den Morgenrock und die Pantoffeln hatte sie offenbar nur zur Tarnung angehabt. Außerdem war sie zu stolz, um ungeschminkt und im Morgenrock aus dem Haus zu gehen, was Amaia insgeheim sogar bewunderte.
    »Ich wollte was holen«, stammelte sie mit erstickter Stimme. Ihr war sofort klar, dass sie einen Fehler begangen hatte.
    Ihre Mutter rührte sich nicht von der Stelle, legte nur den Kopf in den Nacken, bevor sie im selben Ton wie vorher weitersprach.
    »Hier ist nichts, was dir gehört.«
    »Doch.«
    »Ach ja? Darf ich mal sehen?«
    Amaia wich zurück, bis sie mit dem Rücken an einen Pfeiler stieß. Ohne ihre Mutter aus den Augen zu lassen, zog sie sich nach oben. Ihre Mutter ging los, schob den schweren Behälter zur Seite, als wäre er leer, holte den Umschlag hervor, auf dem der Name ihrer Tochter stand, und leerte sich den Inhalt in die Hand.
    »Bestiehlst du deine eigene Familie?«, sagte sie und warf das Geld so heftig auf den Tisch, dass eine Münze auf den Boden fiel und bis zur Tür rollte, wo sie auf der Kante stehen blieb.
    »Nein, Mama, das ist meins«, stammelte Amaia, die wie gebannt auf die zerknitterten Scheine starrte.
    »Das kann

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