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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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den Schlüssel aus ihrer Tasche.
    »Ist Amaia hier?«
    »Ja.«
    »Warum ist dann kein Licht an?«
    Rosario antwortete nicht. Sie schloss die Tür auf, und sie traten ein. Erst als die Tür wieder zu war, machte sie Licht an. Einige Sekunden lang konnte er nichts sehen. Er blinzelte, versuchte seine Augen an das grelle Licht zu gewöhnen, während er verzweifelt nach seiner Tochter Ausschau hielt.
    »Wo ist sie?«
    Rosario antwortete nicht, lehnte einfach nur mit dem Rücken an der Tür, schielte in eine Ecke und grinste.
    »Amaia!«, rief Juan voller Panik. »Amaia!«
    Wieder drehte er sich zu seiner Frau um. Weil sie immer teuflischer grinste, wurde er leichenblass.
    »Um Gottes willen, was hast du ihr angetan?«
    Er trat in eine glitschige Lache und begriff sofort, dass es Blut war, Blut, das sich bereits bräunlich verfärbte. Entsetzt sah er wieder zu seiner Frau.
    »Wo ist sie?«, flüsterte er.
    Sie antwortete immer noch nicht, aber ihre Augen weiteten sich, und sie kaute auf ihrer Unterlippe, als machte ihr die Situation unendlich viel Spaß. Außer sich vor Wut, vor Angst, vor Entsetzen packte Juan sie an den Schultern, schüttelte sie, als hätte sie keine Knochen, und brüllte ihr ins Gesicht:
    »Wo ist meine Tochter?«
    Mit verächtlich blitzenden Augen spitzte sie den Mund. Dann streckte sie die Arme aus und zeigte in Richtung Backtrog.
    Der Backtrog, der vierhundert Kilo Mehl fasste, sah aus wie eine Tränke aus Marmor. Juan lief darauf zu und sah sofort zwei große Tropfen Blut, die sich mit dem Mehl zu einem trockenen Klumpen vermischt hatten. All seine Sinne waren jetzt aufs Äußerste gespannt. Er streckte die Arme in den Trog, und plötzlich bewegte sich etwas in dem weichen, duftenden Mehl. Eine kleine, zitternde Hand tauchte auf. Er packte sofort zu und zog Amaia heraus wie eine Ertrinkende aus dem Wasser, legte sie auf den Tisch und strich ihr behutsam das Mehl aus Augen und Nase, redete ihr gut zu. Tränen tropften auf das Gesicht seiner Tochter, zeichneten salzige Spuren ins Mehl, das ihre Haut bestäubte.
    »Amaia, mein Mädchen, mein Ein und Alles.«
    Amaia zitterte heftig.
    »Ruf einen Arzt!«, befahl er seiner Frau.
    Sie rührte sich nicht vom Fleck, lutschte an ihrem Daumen wie ein kleines Kind.
    »Rosario«, schrie Juan, der kurz davorstand, die Nerven zu verlieren.
    »Was?«, schrie sie zurück und wandte sich verärgert ab.
    »Du rufst jetzt sofort einen Arzt!«
    »Nein.«
    »Was?«
    Er sah sie ungläubig an.
    »Ich kann nicht«, erklärte sie ruhig.
    »Was sagst du da? Du musst einen Arzt rufen, Amaia ist schwer verletzt.«
    »Ich kann nicht«, flüsterte sie erneut und lächelte scheu. »Warum rufst du nicht den Arzt, und ich bleibe hier bei ihr?«
    Juan ließ Amaia los, die nach wie vor zitterte, und ging zu seiner Frau.
    »Hör zu, Rosario. Du holst jetzt sofort den Arzt«, schimpfte er mit ihr wie mit einem bockigen Kind. Er riss die Tür auf und stieß sie hinaus. Erst da bemerkte er, dass auch sie mit Mehl bestäubt war und Blut an ihren Fingern klebte.
    »Rosario?«
    Sie drehte sich um und ging los.
    Eine Stunde später wusch sich der Arzt die Hände am Waschbecken und trocknete sie mit dem Tuch ab, das Juan ihm reichte.
    »Wir haben Glück gehabt, Juan, der Kleinen geht es den Umständen entsprechend gut. Der kleine Finger und der Ringfinger der rechten Hand sind gebrochen. Am gefährlichsten war die Wunde am Kopf, aber das Mehl hat als natürliche Kompresse gewirkt und eine Kruste gebildet, die die Blutung schnell gestoppt hat. Das Zittern ist normal bei jemandem, der so einen Schlag auf den Kopf bekommen hat.«
    »Es war meine Schuld«, sagte Juan. »Ich habe ihr den Schlüssel für die Backstube gegeben. Aber ich hätte nie gedacht, dass ihr was passieren könnte.«
    »Juan«, sagte der Arzt und sah ihn an, weil er wissen wollte, wie er reagieren würde. »Da ist noch etwas. Sie hatte Mehl in Ohren, Augen und Mund, war praktisch ganz mit Mehl bedeckt.«
    »Wahrscheinlich ist sie auf einem Rest Butter oder Öl ausgerutscht, mit dem Kopf gegen den Backtrog geprallt und hineingefallen.«
    »Dann wäre sie vorwärts oder rückwärts gefallen, also entweder vorne oder hinten mit Mehl bestäubt. Sie war aber über und über mit Mehl bedeckt.«
    Juan starrte seine Hände an, als könnte er dort die Antwort finden.
    »Vielleicht ist sie vorwärts reingefallen und hat sich im Mehl gewälzt, weil sie keine Luft bekam.«
    »Ja, vielleicht«, räumte der Arzt ein. »Deine Tochter ist

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