Das Echo dunkler Tage
Mann ist sich sicher, dass er die Dinger am ersten Januar gesehen hat, weil er an dem Tag gearbeitet hat. Und obwohl er seine Schafe nicht bis an den Fluss führte, konnte er die Schuhe deutlich erkennen. Oder um es in seinen Worten auszudrücken: ›Sie standen da, als hätte sie jemand fein säuberlich abgestellt, wie wenn man schlafen geht. Oder schwimmen‹«, las er aus seinen Notizen vor.
»Die Schuhe wurden tatsächlich nicht bei Carlas Leiche gefunden?«, fragte Amaia und sah im Bericht nach.
»Jemand muss sie mitgenommen haben«, sagte Iriarte.
»Und zwar nicht der Mörder. Es scheint fast so, als hätte sie jemand dort hingestellt, damit die Leiche gefunden wird«, überlegte Montes laut. Er hielt kurz inne. »Beide Mädchen gingen aufs Gymnasium von Lekaroz. Sie kannten sich vom Sehen, hatten aber keinen Umgang miteinander, dafür war der Altersunterschied zu groß. Carla Huarte wohnte im Stadtteil Antxaborda. Salazar, du müsstest das Viertel doch kennen, oder?« Amaia nickte. »Ainhoa wohnte im Nachbardorf.«
Montes beugte sich über seine Notizen. Amaia fiel auf, dass er sich irgendein klebriges Zeug in die Haare geschmiert hatte.
»Was ist denn mit Ihren Haaren passiert?«
»Das ist Gel« antwortete er und strich sich über den Nacken. »Ich war gerade beim Friseur. Können wir jetzt weitermachen?«
»Natürlich«
»Mehr habe ich nicht. Und ihr?«
»Wir haben mit dem Freund von Carla gesprochen«, ergriff Amaia das Wort, »und interessante Dinge erfahren. Zum Beispiel, dass Carla auf harten Sex stand, Kratzen, Beißen, leichte Schläge und so, was von ihren Freundinnen bestätigt wurde, denen Carla alles haarklein erzählt hat. Das würde die Kratzer und die Bissspur auf ihrer Brust erklären. Laut ihrem Freund war Carla aufgrund ihres Drogenkonsums emotional labil und hat sich in jener Nacht regelrecht in eine Paranoia hineingesteigert. Das stimmt mit seiner ursprünglichen Aussage und auch mit dem toxikologischen Bericht überein. Außerdem hat er uns erzählt, dass sie sich die Schamgegend rasierte, weswegen wir bei der Leiche auch keine Haare gefunden haben.«
»Chefin, wir haben jetzt auch die Fotos vom Fundort.«
Jonan legte sie nebeneinander auf den Tisch. Alle drängten sich um Amaia und beugten sich vor, um besser sehen zu können. Carlas Leiche war an einer Stelle gefunden worden, an der der Fluss häufig über das Ufer trat. Das rote Partykleid und die ebenfalls rote Unterwäsche waren von der Brust bis zur Schamgegend aufgeschnitten. Die Schnur, mit der man sie erwürgt hatte, war nicht zu sehen, weil der Hals zu stark angeschwollen war. An einem Bein hing ein Fetzen, den alle zuerst für Haut hielten, dann aber als die Überreste einer Strumpfhose identifizierten.
»Dafür, dass die Leiche fünf Tage im Freien lag, ist sie ziemlich gut erhalten«, bemerkte einer der Kriminaltechniker. »Was zweifellos an der Kälte lag. In der Woche war es nie wärmer als sechs Grad, und nachts sank die Temperatur sogar unter null.«
»Habt ihr bemerkt, wie die Hände liegen?«, fragte Iriarte.
»Nach oben gedreht, wie bei Ainhoa Elizasu.«
»Carla trug ein kurzes rotes Kleid ohne Träger, dazu eine weiße Plüschjacke, die nicht gefunden wurde«, las Amaia vor. »Der Mörder schnitt die Kleidung von oben bis unten durch und klappte sie zu beiden Seiten auf. In der Schamgegend fehlt ein circa zehn Quadratzentimeter großes Stück Haut und Gewebe.«
»Wenn der Mörder ein Stück von diesem Txantxangorri draufgelegt hat, würde das erklären, warum die Tiere nur dort zugebissen haben.«
»Und warum bei Ainhoa nicht?«, fragte Montes.
»Weil nicht genug Zeit war«, meldete sich Dr. San Martín zu Wort, der gerade zusammen mit seinem Assistenten den Raum betreten hatte. »Entschuldigen Sie die Verspätung, Inspectora Salazar!« Er setzte sich.
»Alle anderen hier sind wohl Luft, oder was?«, grummelte Montes.
»Tiere trinken für gewöhnlich am frühen Morgen, und im Gegensatz zu Carla lag Ainhoa nur etwa zwei Stunden am Fundort. Ich habe jetzt den Autopsiebericht, und es gibt Neuigkeiten. Beide Mädchen wurden mit einer Schnur erwürgt, jeweils mit ungewöhnlich großer Kraft, und haben sich nicht gewehrt. Bei beiden wurde mit einem äußerst scharfen Gegenstand die Kleidung aufgeschnitten, was zu oberflächlichen Stichwunden an Brust und Bauch geführt hat. Ainhoas Schamhaare wurden abrasiert, wahrscheinlich mit demselben scharfen Gegenstand, und neben die Leiche geworfen. Auf ihre
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