Das Echo dunkler Tage
sein sollte, ein dunkles Loch war. Sie horchte aufmerksam, versuchte zu verstehen, ob es etwas sagte.
Die Amaia, die sie sah, war neun Jahre alt und weinte schwarze Tränen, die so dickflüssig waren wie Motoröl und glänzten wie Pechkohle. Zu ihren Füßen, dort, wo eben noch das Bett gestanden hatte, bildete sich eine Pfütze. Das Mädchen trat auf sie zu, und Amaia bemerkte nun, dass sich ihre Lippen bewegten: Vaterunserimhimmelgeheiligtwerdedeinnamedeinreichkomme …
Plötzlich hob das Mädchen mit beiden Händen die Waffe und richtete sie auf sich selbst, direkt auf ihr Ohr. Dann fiel ihr rechter Arm schlaff auf den Schoß, und Amaia sah, dass die Hand fehlte. Obwohl ihr irgendwie bewusst war, dass es sich um einen Traum handelte, schrie sie, weil sie sicher war, dass sie einen irreparablen Schaden erleiden würde.
»Tu’s nicht!«, schrie sie, aber die schwarzen Tränen, die das Mädchen geweint hatte, flossen ihr in den Mund und erstickten ihre Worte. Sie mobilisierte alle Kräfte, um aus dem Albtraum zu erwachen, bevor alles ein schlimmes Ende nahm. »Tu’s nicht!«
Sie spürte, dass sie dem Inferno entkam, dass der Schrei sie aufweckte und das Kind zurückblieb. Sie drehte sich um, weil sie das Mädchen noch einmal sehen wollte, und bekam gerade noch mit, wie es den verstümmelten Arm hob und sagte: »Ich darf nicht zulassen, dass meine Mama mich frisst.«
Dann öffnete sie die Augen und nahm eine dunkle Gestalt wahr, die sich über sie beugte.
»Amaia.«
Die Stimme reiste viele Jahre in der Zeit zurück, um zu ihrer Besitzerin zurückzukehren, während die Logik sich schreiend ihren Weg durch den Albtraum bahnte, um ihr klarzumachen, dass das, was sie erlebte, nicht sein konnte. Sie öffnete die Augen und blinzelte, versuchte, den Rest des Traums zu verscheuchen, der wie Sand auf ihren Augen lag.
Eine Hand legte sich ihr auf die Stirn, die kalt war wie die einer Leiche. Sie riss die Augen auf. Am Bett stand eine Frau und beugte sich über sie, betrachtete sie halb neugierig, halb amüsiert. Sie hatte eine gerade Nase, hohe Wangenknochen, und ihr Haar war zu beiden Seiten zurückgebunden.
»Mutter«, schrie sie erstickt, zerrte an der Daunendecke, stieß sich strampelnd ab, bis sie aufrecht auf dem Kissen saß.
»Amaia! Wach auf! Du träumst!«
Etwas in ihrem Kopf machte klick, und Licht durchflutete den Raum. Jemand hatte die Nachttischlampe angemacht.
»Amaia. Alles okay?«
Ros sah sie besorgt an, traute sich aber nicht, sie zu berühren. Amaias Mund war trocken, ein Schweißfilm überzog ihre Haut.
»Alles okay. War nur ein Albtraum«, sagte sie keuchend und sah sich um, als müsste sie sich vergewissern, wo sie war.
»Du hast geschrien«, flüsterte ihre Schwester, die leichenblass war.
»Ach ja?«
»Wie am Spieß hast du geschrien. Und ich habe dich einfach nicht wachgekriegt«, sagte Ros, als ergäbe das Ganze mehr Sinn, wenn sie es in Worte fasste. Amaia sah sie an.
»Tut mir leid«, sagte sie erschöpft, als müsste sie sich rechtfertigen.
»Du hast mir einen höllischen Schreck eingejagt.«
»Ja, weil ich dich nicht gleich erkannt habe.«
»Nein, weil du deine Pistole auf mich gerichtet hast.«
»Was?«
Erst in diesem Moment bemerkte Amaia, dass sie ihre Pistole in der Hand hielt. Plötzlich kam ihr der Traum, in dem das Mädchen sich die Waffe ans Ohr gehalten hatte, so lebendig vor, dass sie die Waffe fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Sie legte ein Kissen darauf, bevor sie sich wieder ihrer Schwester zuwandte.
»Ros, es tut mir furchtbar leid. Ich habe die Pistole gereinigt und muss danach eingeschlafen sein. Sie war nicht geladen.«
Ros schien nicht ganz überzeugt zu sein.
»Tut mir wirklich leid«, sagte Amaia noch einmal. »Die letzten Tage waren ziemlich hart. Heute musste ich einen Kerl verhören, der seine eigene Stieftochter ermordet hat. Und dann die Ermittlung in den Basajaunmorden. Ich war wohl etwas angespannt.«
»Und mein Verhalten war auch nicht gerade hilfreich«, fügte Ros zerknirscht hinzu und zog eine Schnute. Amaia erkannte in dieser Geste das Mädchen wieder, das Ros einmal gewesen war, und empfand tiefe Zuneigung für ihre Schwester.
»Es tut eben jeder, was er kann«, sagte sie mit einem bemühten Lächeln.
Ros setzte sich zu ihr aufs Bett.
»Entschuldige, Amaia, ich hätte es dir sagen müssen! Aber ich war in letzter Zeit so sehr durch den Wind, dass ich den richtigen Moment verpasst habe.«
Amaia ergriff ihre Hand.
»Das hat James
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