Das Echo dunkler Tage
auch gesagt.«
»Siehst du? Selbst in diesen Dingen ist er perfekt. Wie sollte ich dir da von meinem mickrigen Mann erzählen?«
»Ich habe dich nie verurteilt, Ros.«
»Ich weiß. Tut mir leid«, sagte Ros und neigte sich Amaia zu, die sie warmherzig in den Arm nahm.
»Mir auch, Ros. Das war die schwierigste Situation, die ich in meinem Leben je zu meistern hatte, aber ich hatte keine andere Wahl«, sagte sie und streichelte ihrer Schwester über den Kopf.
Als sie sich schließlich aus der Umarmung lösten, lächelten sie sich an, wie nur Schwestern sich anlächeln konnten, die solche Situationen schon des Öfteren erlebt hatten. Sich mit Ros zu versöhnen rief in ihr ein Wohlgefühl hervor, wie sie es schon seit Tagen nicht mehr verspürt hatte, wie sie es sonst überhaupt nur bei James verspürte, wenn sie nach Hause kam, duschte und in seine Arme sank. Insgeheim hatte sie sich schon Sorgen gemacht, ob sie bereits das Schicksal ereilt hatte, das Mordermittler so sehr fürchteten: dass der Horror, dem sie täglich ausgesetzt war, die Schleusen zu diesem dunklen Ort durchbrochen hatte, an den er nie gelangen durfte, dass er ihr Leben überflutet und sie zu einer Polizistin ohne Privatleben gemacht hatte. In den vergangenen Tagen hatte eine Drohung über ihr geschwebt wie ein Fluch, und die alten Beschwörungsformeln hatten nicht mehr genügt, um das Böse zu vertreiben, das sich um sie gelegt hatte wie ein feuchtes Schweißtuch.
Sie erwachte aus ihren Gedanken und bemerkte, dass Ros sie aufmerksam beobachtete.
»Vielleicht solltest du dich mal aussprechen.«
»Ros, du weißt doch, dass ich dir keine Ermittlungsdetails verraten darf.«
»Das meine ich nicht. Mich würde interessieren, warum du im Schlaf schreist. James hat gesagt, du hättest jede Nacht Albträume.«
»Dieser James! Ja, ich habe Albträume, aber das ist bei meinem Job ziemlich normal, vor allem, wenn ich mitten in einem Fall stecke. Wenn er gelöst ist, ist alles wieder gut. Das Licht lasse ich beim Schlafen schon immer an, wie du weißt.«
»Diesmal nicht«, sagte Ros und deutete auf die Nachttischlampe.
»Ich habe nicht dran gedacht. Als ich die Waffe gereinigt habe, war es draußen noch hell. Irgendwie muss ich eingenickt sein, was mir normalerweise nicht passiert. Genau deswegen lasse ich ja das Licht an, weil ich durch die ständige Anspannung einen leichten Schlaf habe, aus dem ich immer wieder aufschrecke. Wenn ich dann Licht sehe, weiß ich, wo ich bin und schlafe wieder ein.«
Ros schüttelte den Kopf.
»Du solltest dich mal selber hören. Ständige Anspannung: So kann doch keiner leben. Wenn du dir mit diesem Lichtanlassentrick selber was vormachen willst, bitte schön! Aber heute, das war was anderes. Amaia, du hättest beinahe auf mich geschossen.«
Amaia fiel ein, dass James ihr vor ein paar Tagen etwas Ähnliches gesagt hatte.
»Albträume sind ja bis zu einem gewissen Punkt normal. Nicht normal ist, dass du so darunter leidest, dass du aufschreckst und nicht weißt, ob du träumst oder wach bist. Ich habe dich gesehen, Amaia, du hattest Todesangst.«
Amaia sah sie an, erinnerte sich an das Gesicht, das sich über sie gebeugt hatte, als sie aufgewacht war.
»Lass mich dir helfen!«
Amaia nickte.
Schweigend gingen sie die Treppe hinunter. Wenn Tante Engrasi nicht zu Hause war, herrschte eine seltsame Atmosphäre. Die Möbel, die Pflanzen, der ganze Krimskrams wirkten ohne sie leblos, als verlören sie durch ihre Abwesenheit an Kontur. Ros holte das schwarze Seidenbündel mit den Tarotkarten aus der Anrichte, legte es in die Mitte des Tisches und ging dann ins Wohnzimmer. Eine Sekunde später ertönte das laute Plärren der Fernsehwerbung.
»Warum macht ihr das?«, fragte Amaia.
»Um besser zu hören.«
»Dir ist schon klar, dass das ein Widerspruch in sich ist, oder?«
»Ist trotzdem so.«
Ros setzte sich, löste vorsichtig den Knoten, der das weiche Bündel zusammenhielt, legte das Seidentuch beiseite und platzierte den Stapel auf dem Tisch.
»Du weißt ja, wie es geht: Du musst an deine Frage denken, während du die Karten mischst.«
Amaia berührte den Stapel, der merkwürdig kalt war. Erinnerungen an frühere Tarotsitzungen kehrten zurück: Wie weich sich die Karten zwischen ihren Fingern angefühlt hatten, der merkwürdige Duft, der ihnen beim Mischen entströmt war, die friedliche Verbundenheit in genau dem Moment, in dem der Kanal sich öffnete und sich in ihr die Frage formulierte, die instinktive
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