Das Echo dunkler Tage
er? Warum tut er das? Aber vor allem: Wer ist er? Wer ist der Basajaun?
Sie legte den Stapel auf den Tisch. Ros schob sie zu einer Reihe auseinander.
»Gib mir drei«, bat Ros.
Amaia tippte auf drei Karten. Ros zog sie heraus und legte sie gestuft übereinander.
»Du suchst jemanden. Und der, den du suchst, ist männlich. Er ist weder jung noch alt. Und er ist in der Nähe. Gib mir noch drei.«
Wieder tippte Amaia auf drei Karten, die Ros rechts neben die erste Reihe legte.
»Dieser Mann erfüllt einen Auftrag. Er tut, was er tut, weil es seinem Leben einen Sinn verleiht und seine Wut lindert.
»Seine Wut lindert? Ein Verbrechen lindert eine Wut?«
»Gib mir noch drei.«
Sie legte sie neben die anderen und deckte sie auf.
»Es lindert eine uralte Wut, eine Urangst.«
»Erzähl mir von seiner Vergangenheit.«
»Er war unterdrückt, versklavt, ist jetzt aber frei. Doch noch immer droht ihm das Joch. Er führt einen inneren Kampf, um seine Wut zu bändigen. Und jetzt glaubt er, es geschafft zu haben.«
»Glaubt? Was glaubt er?«
»Er glaubt, dass das, was er tut, gerecht ist, vernünftig, er glaubt, dass er Gutes tut. Er hat ein positives Bild seiner selbst, fühlt sich als Triumphator über das Böse. Aber es ist nur eine Pose. Gib mir noch drei.«
Sie deckte sie langsam auf.
»Manchmal fällt er in sich zusammen. Dann gewinnt das Böse die Oberhand.«
»Und er tötet.«
»Nein, wenn er tötet, ist er nicht böse. Ich weiß, das klingt äußerst merkwürdig, aber wenn er tötet, ist er der Hüter der Reinheit.«
»Was hast du da gesagt?«, fragte Amaia schroff.
»Was soll ich gesagt haben?«, erwiderte Ros, als erwachte sie aus einem Traum.
»Der Hüter der Reinheit, der Bewahrer der Natur, der Wächter des Waldes, der Basajaun. Von wegen: Ein arroganter Dreckskerl ist das. Glaubt er wirklich, er sorgt für Reinheit, indem er Kinder tötet? Ich hasse ihn.«
»Er dich nicht, er fürchtet dich auch nicht, er tut einfach seine Arbeit.«
Amaia zeigte so heftig auf eine weitere Karte, dass eine andere aus dem Stapel flog und offen zum Liegen kam.
Ros sah erst die Karte, dann ihre Schwester an.
»Das ist etwas anderes. Du hast eine andere Tür geöffnet.«
Misstrauisch betrachtete Amaia die Karte, spürte die Anwesenheit des Wolfs.
»Was zum Teufel …?«
»Stell eine Frage«, sagte Ros.
In diesem Moment ging die Haustür auf. Es waren James und Engrasi, die mit mehreren Tüten bepackt waren. Sie plauderten und lachten, verstummten aber jäh, als Engrasi die Karten sah. Entschlossenen Schrittes ging sie zum Tisch, verschaffte sich ein Bild und ermunterte Ros fortzufahren.
»Stell die Frage«, sagte Ros noch einmal.
Amaia sah auf die Karten und erinnerte sich an die Formel.
»Was muss ich wissen?«
»Drei.«
»Du musst wissen, dass es in dieser Partie noch ein weiteres Element gibt.« Sie drehte noch eine Karte um. »Ein Element, das wesentlich gefährlicher ist.« Sie drehte die letzte Karte um. »Das ist dein eigentlicher Feind. Er kommt wegen dir und …« Sie zögerte. »… deiner Familie. Er ist bereits da, wird so lange um deine Aufmerksamkeit buhlen, bis du dich auf sein Spiel einlässt.«
»Was will er von mir? Und von meiner Familie?«
»Gib mir eine.«
Sie deckte die Karte auf. Ein Skelett starrte sie aus leeren Augenhöhlen an.
»Um Gottes willen, Amaia! Er will deine Knochen.«
Sie schwieg einige Sekunden. Dann sammelte sie die Karten ein, wickelte sie in das Tuch und hob den Blick.
»Die Tür ist zu, Amaia. Was immer da draußen lauert, es ist furchteinflößend.«
Amaia sah zu ihrer Tante, die leichenblass geworden war.
»Tante Engrasi, vielleicht kannst du …«
»Ja, aber nicht heute. Und nicht mit diesen Tarotkarten. Ich muss erst mal darüber nachdenken«, sagte sie und verschwand in die Küche.
33
D as Hotel Baztán lag fünf Kilometer außerhalb von Elizondo an der Landstraße. Von außen sah es aus wie ein typisches Berghotel für Schulklassen, Wanderer und Familien. Die Fassade war mit Balkonen übersät, der Vorplatz diente zugleich als Parkplatz. Die gelben Plastikstühle und -tische vor dem Eingang passten nicht zur Jahreszeit, aber die Direktion wollte dem Hotel einen sommerlichen Anstrich geben, den tropischen Touch eines mexikanischen Strandhotels. Es war noch früh am Abend, was sich in der Anzahl der Autos bemerkbar machte und an den zahlreichen Gästen des Restaurants.
Amaia parkte ihren Wagen neben einem Caravan mit französischem Kennzeichen und
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