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Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling

Titel: Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
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Straße fährt keine Straßenbahn.«
    »Gut möglich«, meinte Juffin und nickte gleichgültig. »Aber willst du etwa mit einer normalen Tram von Welt zu Welt reisen? Und abgesehen davon: Was ist eigentlich eine Straßenbahn?«
    Nach dem Erwachen konnte ich mich mühelos an meinen Traum erinnern. Er stand mir bis ins kleinste Detail vor Augen. Viel schwieriger war es zu begreifen, wo ich mich befand, doch auch das gelang mir schließlich.
    Es war drei Uhr nachmittags. Ich kochte mir Kaffee. Dann setzte ich mich mit einer Tasse und der ersten Zigarette des Tages in einen Sessel. Ich musste nachdenken. Nachdem ich den letzten Schluck genommen hatte, beschloss ich, dass es hier nichts zu überlegen gab. Auch wenn es nur ein ganz normaler Traum gewesen sein sollte: Was hatte ich schon zu verlieren? Ich würde also ein wenig durch die Grüne Straße bummeln. Das war schließlich keine große Anstrengung. Ich gehe gern spazieren, und diese Nacht hatte ich ohnehin frei. Und wenn der Traum mehr war als nur ein Hirngespinst? Na, dann wäre das eine Chance - und was für eine!
    Ehrlich gesagt hielt mich in meiner Welt nichts. Mein Leben war ein großer, schrecklich uninteressanter Unfug. Ich konnte nicht mal jemanden anrufen, um Abschied zu nehmen. Na ja, ich hätte schon Leute zur Auswahl gehabt, mit denen ich hätte telefonieren können. In meinem Adressbuch, das ich mir etwa einen Monat zuvor zugelegt hatte, befanden sich mehr als fünfzig Nummern. Doch ich hatte keine Lust, mich mit jemandem zu unterhalten. Und noch weniger Interesse hatte ich daran, jemanden zu treffen. Vielleicht hatte ich bloß eine Depression. Auf jeden Fall wartete die nächste Depression sicher schon auf mich. Deshalb traf ich meine Entscheidung - den wichtigsten Entschluss meines Lebens - erstaunlich schnell. Noch heute wundere ich mich darüber.
    Mich überkam eine seltsame, aber angenehme Verwirrung. Ich wollte weder meinen Haushalt auflösen noch den engsten Freunden von meinen geheimen Absichten erzählen. Den Abend verbrachte ich mit furchtbar ermüdenden Überlegungen und Unmengen von Tee vor dem Fernsehapparat. Nicht mal die vorletzte Staffel von Twin Peaks begriff ich als Omen. Ich dachte nur, dass ich an Agent Coopers Stelle im schwarzen Wigwam geblieben wäre, statt in die Realität zurückzukehren und das eigene Leben und das anderer zu zerstören.
    Im Übrigen verhielt ich mich, als wäre das Heraustragen des Mülleimers das wichtigste Ereignis des Tages. Als ich meine Kaffeekanne und einen dreitägigen Vorrat belegter Brote in den Rucksack packte, fühlte ich mich wie ein Verrückter. Doch ich dachte mir, ich könnte zur Abwechslung auch mal ein wenig verrückt sein. Schließlich war ich in den letzten fahren vorbildlich vernünftig gewesen - und das Ergebnis war nicht gerade beeindruckend.
    Ich verließ das Haus um etwa ein Uhr nachts. Der Weg in die Grüne Straße dauerte ungefähr zwölf Minuten. Dort musste ich mich ziemlich lange herumtreiben. Einer der letzten Eindrücke in meiner alten Heimat war die Zeitangabe der Digitaluhr am Gebäude einer Telefongesellschaft. Ihre riesigen Ziffern meldeten 02 : 02 - so eine Symmetrie habe ich immer für ein gutes Zeichen gehalten. Warum, weiß ich nicht.
    Das Klingeln der Straßenbahn, das erstaunlich laut durch die stille Nacht drang, lenkte mich vom Betrachten der Nullen und Zweien ab. Ich war nicht erschrocken, doch mir war schwindlig, und ich sah alles doppelt und konnte nicht fassen, dass es in dieser schmalen Straße tatsächlich Trambahnschienen geben sollte. Besonders aufmerksam betrachtete ich das kleine Schild, auf dem stand, ich würde mich an einer Haltestelle der Nummer 432 befinden. Aus irgendeinem Grund schockierte mich die dreistellige Nummer der Linie viel mehr als die Tram selbst, denn damals gab es in der Stadt nur dreizehn Straßenbahnlinien. Ich kicherte nervös, und mein Lachen kam mir so unheimlich vor, dass ich sofort verstummte. In diesem Moment kam die Tram um die Ecke. Anscheinend fuhr sie schnell wie ein Express.
    Ich hatte keine Lust, in die Fahrerkabine zu schauen, doch manchmal tut man ja genau das, wozu man keine Lust hat. So blickte ich denn in ein breites Gesicht, das einem Kannibalen zu gehören schien und mit einem kleinen, schmalen Schnauzbart bestückt war. Die Äuglein, die in dem fetten Gesicht schwammen, funkelten ungeheuer begeistert. Schwer zu sagen, was mich eigentlich so erschreckt hatte, doch nun begriff ich, was in der Seele der Bardot passiert

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