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Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling

Titel: Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
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war, als sie auf die erste Prozession zorniger Götter traf. Worte wie Angst, Schock oder Erschütterung können nicht wiedergeben, was ich damals empfand.
    Die Tram bremste ab und näherte sich der Haltestelle. Da begriff ich, dass dies mein Ende war - egal ob ich einsteigen oder mich umdrehen und wieder nach Hause gehen würde. Ich schielte auf den Fahrerplatz, der inzwischen glücklicherweise geräumt worden war. Plötzlich fühlte ich mich besser. Eine Trambahn ohne Fahrer auf einer Straße ohne Gleis; dazu die Strecke 432 von Nirgendwo nach Nirgendwo - all das war merkwürdig, aber durchaus erträglich. Eine solche Verzerrung der Wirklichkeit war mir sehr recht. Und die Abwesenheit des Kannibalengesichts war mir noch lieber.
    Die Tram hielt. Sie war schon etwas älter und nicht besonders auffällig. An der zerkratzten Außenwand stand »Sex Pistols« und »Michael spinnt«. Ich war dem unbekannten Michael unendlich dankbar: Er hatte mir das Leben, vielleicht auch nur den Verstand, vielleicht aber auch beides gerettet.
    Nachdem ich die Diagnose von Michaels psychischer Verfassung zur Kenntnis genommen hatte, wurde ich ruhiger. Ich stieg in die leere Straßenbahn, setzte mich ans Fenster und legte meinen Rucksack auf den Nebensitz. Die Tür schloss sich sehr sanft, und ich spürte nichts Bedrohliches. Dann fuhren wir los. Sogar das Tempo der Straßenbahn war normal - jedenfalls erschien es mir so. Und auch die Aussicht war alles andere als ungewöhnlich: Ich fuhr durch mir halb und halb bekannte Straßen, deren Dunkelheit da und dort von Laternenlicht unterbrochen wurde. Mitunter sah ich beleuchtete Fenster und hin und wieder eine erbärmlich flimmernde Neonreklame. Ich fühlte mich gut und ruhig - als würde ich meine Großmutter in ihrem Häuschen weit vor der Stadt besuchen. Dort war ich seit vierzehn Jahren nicht mehr gewesen, meine Großmutter war tot und das Häuschen verkauft. Nie wieder habe ich mich so frei und glücklich gefühlt wie dort ... Ich sah mein Gesicht in der Scheibe: beseelt, erstaunt und sichtlich verjüngt. Wie sympathisch ich doch sein konnte!
    Auf einem der Sitzplätze fand ich eine Art Reader’s Digest und fing genüsslich an zu lesen. Viele Leute mögen solche Sammelbände, und in meiner Situation hielt ich es für besser, mein Gehirn mit dieser ökologisch sauberen Droge zu verstopfen. Die Zeit verging wirklich wie im Flug - und so mag ich es am liebsten.
    Was gab ich nur für einen traurigen Helden ab! Da veränderte sich mein Leben von Grund auf, und was tat ich? Ich las in einer abgegriffenen Scharteke und aß dazu mein Butterbrot. Aber so bin ich eben: Wenn ich nicht begreife, was um mich herum passiert, suche ich mir eine Beschäftigung, die mich ablenkt. Im Alltagsleben benehme ich mich oft bizarr; wenn dagegen ein Wunder geschieht, verwandle ich mich sofort in einen phlegmatischen Langweiler. Das ist natürlich nur instinktiver Selbstschutz.
    Als ich aufhörte zu lesen, merkte ich, dass es vor den Fenstern heller geworden war. Was ich draußen sah, ließ mich innerlich zittern: Zwei freundlich lächelnde Sonnen stiegen - die eine rechts, die andere links, damit sich die Augen nicht langweilten - über den Horizont. Erlebte ich etwa den Sonnenaufgang im Doppelpack?
    Ich musste mich zusammenreißen, um nicht in Panik zu geraten, sah nicht aus dem Fenster, kniff die Augen zu, gähnte und setzte mich bequemer hin. Merkwürdigerweise gelang mir das. Mein Sitzplatz wurde buchstäblich größer und weicher. Mein Kopf fiel auf den mit Butterbroten gefüllten Rucksack, und ich sank in Tiefschlaf. Keine Alpträume quälten mich: Anscheinend machten die für meine Träume verantwortlichen Engel gerade eine Zigarettenpause. Nett von ihnen!
    Die Atmosphäre in der Straßenbahn war ohnehin wohlwollend. Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass ich mit angezogenen Knien auf einer weichen Couch lag. Aus dem Nichts kam eine haarige karierte Decke geflogen, die genauso bequem war wie meine eigene. »Prima Service!«, murmelte ich und schlief wieder ein.
    Als ich erneut aufwachte, war aus der Straßenbahn eine Puppenstube geworden: Alle Sitze hatten sich in weiche Sofas verwandelt. Da ich ins Unbekannte reiste, wäre es eine Sünde gewesen, einen so nett gestalteten Raum nicht zu nutzen. Insgesamt schlief ich sehr viel, aß meine Vorräte auf und fand mitunter an überraschenden Stellen neue Bücher - zum Beispiel in meiner Brusttasche oder auf dem Fahrscheinentwerter.
    Was allerdings surreale

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