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Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling

Titel: Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
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Kommissar Maigret würde Juffin - dachte ich - stundenlang Pfeife schmauchen und dann zum Tatort schlendern, um nach einer schlaflosen Nacht das Geheimnis der entlaufenen Leiche - nicht ohne meine bescheidene Hilfe - zu lüften. Und danach würden alle vor Freude tanzen.
    Doch mich erwartete eine große Enttäuschung. Das morgendliche Treffen mit ihm dauerte nur zwölf Minuten, und die ganze Zeit verschwendete Sir Juffin mit Spekulationen darüber, ob und wie ich die nächsten drei Tage ohne ihn auskommen könnte. Wie sich herausstellte, stand sein jährlicher Besuch bei Hofe an, und der König ließ seinen charmanten Vasallen in aller Regel nicht so schnell wieder laufen. Nach Sir Juffins Erfahrungswerten würde seine Quasi-Gefangenschaft drei bis vier Tage dauern. Danach würde sich im Volk Unmut rühren, der den Monarchen zwänge, seine Beute widerwillig in die Welt zurückkehren zu lassen.
    Ich verstehe Seine Majestät: Detektivgeschichten gibt es im Vereinigten Königreich ja nicht, und die trockenen Berichte der Höflinge können das farbenprächtige Schwadronieren von Sir Juffin Halli nicht ersetzen.
    Meine Einsamkeit nutzte ich nicht übel. Ich ging oft und lange spazieren, beobachtete Passanten und prägte mir Straßennamen ein. Und ich erkundigte mich nach dem Mietpreis leer stehender Gebäude. Äußerst kritisch wählte ich mein zukünftiges Zuhause aus, das in der Nähe der Straße der Kupferkessel sein sollte, an deren Ende das Haus an der Brücke steht, in dem sich das Polizeirevier und die Dienststelle von Sir Juffin befinden. Nachts machte ich meine Hausaufgaben und befragte etliche Gegenstände nach ihrer Vergangenheit. Es war angenehm zu merken, dass ich all das auch ohne Hilfe von Sir Juffin konnte. Die Dinge teilten mir ihre Erinnerungen gern mit. Nur die kleine Cremedose aus dem Schlafzimmer von Sir Makluk-Olli schwieg beharrlich wie ein Partisan. Anfälle unkontrollierter Angst waren bei ihr aber inzwischen nicht mehr zu beobachten. Immerhin etwas!
    Am späten Abend des vierten Tages kehrte Sir Juffin Halli mit königlichen Geschenken und brandneuen Nachrichten zurück, die mir anfangs sehr abstrakt schienen. Er schob alle dienstlichen Angelegenheiten, die in seiner Abwesenheit aufgelaufen waren, beiseite. Mit dem geheimnisvollen Mord im leeren Schlafzimmer beschäftigten wir uns weder am ersten noch am zweiten Abend.
    Mein Leben verlief endlich wieder in seiner alten, angenehmen Bahn. Juffin kam früh nach Hause, und wir nahmen unsere langen Gespräche und Nachtseminare wieder auf. Seit dem ungeklärten Mord im Haus von Sir Makluk waren schon zwei Wochen vergangen (jedenfalls nach meiner Rechnung; in Echo teilt man das Jahr nicht in Wochen und Monate, sondern in Tagesdutzende ein).
    Nach hiesiger Zeitrechnung war seit unserem nächtlichen Besuch im Nachbarhaus schon über ein Dutzend Tage vergangen. Das ist eine lange Zeit, um meine Neugier aufrechtzuerhalten. Sie entzündet sich schnell und erlischt genauso rasch, wenn sie nicht gefüttert wird.
    Hätte die von mir gerettete Dose doch früher gesprochen - ehe ich mich redseligeren Dingen zugewandt und sie darüber vergessen hatte! Obendrein hatte Sir Juffin begonnen, mir Tricks beizubringen. Wer weiß, wie alltäglich, akademisch und langweilig diese ganze Sache ohne meinen Leichtsinn geendet hätte.
    Wie dem auch sei: Der erste Vorbote des sich zügig nähernden Unheils überraschte mich am frühen Abend eines wunderschönen Tages. Gerade riskierte ich zum zweiten Mal einen Blick in die Meisterwerke der alten Dichtung Ugulands, einen schweren Band, den ich aus der düsteren Bibliothek in den Garten mitgenommen hatte. Mühsam kletterte ich mit dem Folianten auf einen Ast des weit verzweigten Wachari, einer Baumsorte, die sich besonders für Männer mittleren Alters, die unter Anwandlungen von Kindlichkeit leiden, zum Klettern eignet.
    Von meinem Beobachtungspunkt sah ich einen grau gekleideten Mann, der von Sir Makluks Residenz langsam zu uns kam. Ich erinnerte mich der Ereignisse beim letzten Besuch dort und hielt es für besser, ins Haus zu gehen. Sir Juffin war noch nicht da, und ich beschloss, mir die Nachrichten des Boten anzuhören. Für meinen Geschmack kletterte ich zu langsam runter, erreichte die Haustür aber, ehe Sir Makluks Diener den mit bunten, durchsichtigen Kieseln ausgelegten Pfad betreten hatte, der zum Haus führte.
    In der Diele stieß ich auf Kimpa. Er wollte zur Tür eilen, doch ich kam ihm zuvor, öffnete dem Boten und

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