Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling
machen.
»Ich glaube, Sir Max, ich habe eine interessante Information für Sie«, sagte Chaned Dschanirah, kaum dass wir uns begrüßt hatten.
Er war ein ziemlich junger Bursche mit rundem Gesicht, leiser, sympathischer und melodischer Stimme und sehr scharfsichtig wirkenden grünen Augen.
»In letzter Zeit sind bei uns merkwürdige Dinge passiert«, fuhr er fort. »Ich schätze, dass Sie deshalb gekommen sind, und denke, Sie sollten vor Beginn Ihrer Untersuchungen mit mir sprechen. Ich habe den ganzen Tag damit gerechnet, dass Sie mich kommen lassen würden - leider vergeblich. Möglicherweise empfinden Sie mich jetzt als aufdringlich, aber dieses Risiko muss ich eingehen.«
»Ich habe einfach zu viel gefrühstückt, Sir Dschanirah - so viel, dass ich zwischenzeitlich nichts mitbekommen habe«, entschuldigte ich mich. »Ich hätte mich wirklich gleich nach meiner Ankunft an Sie wenden sollen, doch nachdem ich letzte Nacht kein Auge zugetan hatte, bin ich gleich nach dem Frühstück in Tiefschlaf gesunken. Bitte verzeihen Sie mir!«
Der Gesichtsausdruck von Chaned Dschanirah wirkte, als wäre der junge Mann bereit, für mich zu sterben. Ich wusste nicht, was ihn so sehr für mich eingenommen hatte - vielleicht die altertümliche Anrede »Sir«, die einem jungen Psychologen nicht gerade oft begegnete. Vielleicht aber auch die Unbefangenheit, mit der ich meine Fehler eingestanden hatte. Wie auch immer - ich hatte sein Herz offenbar ohne große Mühe erobert.
»Aber nicht doch, Sir Max! Es ist schließlich Ihr gutes Recht, sich zu erholen, ehe Sie mit der Recherche beginnen. Ich wollte Ihnen nur erklären, warum ich mich unbedingt mit Ihnen treffen wollte. Ich glaube, ich kann Ihnen sehr nützlich sein. Hören Sie mich einfach an. Vorgestern haben sich die Häftlinge der Zellen Drei, Vier und Sechs - also die Insassen Ihrer Nachbarzellen - über Alpträume beklagt. Diese Alpträume haben in vieler Hinsicht übereingestimmt.«
»Bedauerlich, dass die drei so schlecht geschlafen haben. Worum ist es in ihren Träumen denn gegangen?«
»Alle drei haben von einem kleinen, halb durchsichtigen Männlein geträumt, das aus der Wand gekommen sei und ihnen unbeschreibliche Angst eingejagt habe. Malesch Patu hat gesagt, das Männlein habe ihm die Augen ausdrücken wollen. Sir Alapajek Vass hingegen hat erzählt, das Männlein habe versucht, ihm das Herz aus dem Leibe zu reißen. Der dritte Fall ist noch merkwürdiger«, meinte Sir Dschanirah und fuhr nach kurzer Pause fort: »Der dritte Gefangene nämlich hat geschworen, das Männlein habe versucht, seinen Darm zu verschließen. Nun hat er panische Angst, dem Gnom könne es im nächsten Traum gelingen, sein Ziel zu erreichen. Der Arme!«
»Der Mann ist wirklich nicht zu beneiden.«
Ich hatte den Eindruck, die drei Alpträume stellten eine merkwürdige Mischung aus realen Gefahren und persönlichen Phobien dar. Dieses Männlein hatte bestimmt etwas mit den Häftlingen anstellen wollen, doch jeder der drei deutete seine Träume anders. Das war durchaus verständlich. Unverständlich war für mich jedoch, woher das Männlein, das ihre Träume durcheinandergebracht hatte, überhaupt gekommen sein mochte. Immerhin war es schlicht unmöglich, im Cholomi-Gefängnis Zaubertricks zu vollführen. Genau aus diesem Grund landeten dort ja alle, die sich mit verbotener Magie beschäftigten.
»Und wie steht es um die Gesundheit der drei Träumer?«, fragte ich. »Hat sich schon ein Heiler um sie gekümmert?«
»Natürlich. Solche Probleme darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zumal da die Träume zeitgleich bei drei Gefangenen, die sich nicht kennen, aufgetreten sind. Und Sie wissen ja, dass die drei sich in Cholomi nicht haben absprechen können.« Der Tröster der Leidenden zuckte die Achseln. »Es hat sich erwiesen, dass keiner von ihnen gesund ist. Die Organe allerdings, auf die das Männlein im Traum scharf war, sind in bestem Zustand.«
Erfreut stellte ich fest, dass meine These, die persönlichen Phobien der drei Häftlinge hätten ihre Träume beeinflusst, für einen psychologischen Laien, der ich zweifellos bin, gar nicht so schlecht war.
»Was ist mit den dreien?«
»Sie alle verlieren langsam den Funken«, flüsterte Dschanirah Unheil verkündend und schwieg dann bedeutsam, als wollte er mir die Möglichkeit geben, die ganze Tragweite dieses Satzes zu verstehen.
Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Den Funken zu verlieren, bedeutet, dass einem die Lebenskraft
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