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Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling

Titel: Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
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passieren würde - weder hier noch irgendwo sonst. Mein Heldenmut berauschte mich so sehr, dass ich beinahe benommen ins Bett gesunken wäre. Noch vor kurzem hatte ich dieses Gefühl nicht gekannt. Möglicherweise steckte hinter meiner Tapferkeit ja Sir Lonely-Lokley, der sich wie eine magische Puppe in meiner Hand aufhielt. Vielleicht gefiel es dem so sehr an mir interessierten Wesen ja, dass ich mutig und zugleich blind für die Gefahr war. Aber vielleicht arbeitete es auch darauf hin, dass ich leichtsinnig wurde.
    Wie auch immer - ich konnte nicht mehr einschlafen, trank bis zum Morgengrauen Kamra, las in meiner geliebten Enzyklopädie und wurde mit jeder Seite klüger.
    Später wurde mir klar, dass sich die damaligen Geschehnisse wie im Märchen entwickelt hatten. In der ersten und zweiten Nacht war ich nur leicht gereizt worden - der eigentliche Ärger kam erst in der verhängnisvollen dritten Nacht.
    Alles begann damit, dass ich bei Einbruch der Dunkelheit ein enormes Schlafbedürfnis verspürte. Das war sehr ungewöhnlich für mich, da ich um diese Tageszeit eigentlich besonders wach bin - und zwar unabhängig davon, wie der Tag gelaufen ist. Aber diesmal musste ich gegen eine gewaltige Müdigkeit ankämpfen - erfolglos.
    Ich versuchte, mich wach zu halten, indem ich mir vorstellte, mir würden bei geschlossenen Lidern grässlichste Alpträume bevorstehen. Doch das nützte nichts. Nicht mal der Gedanke an die ungeheure Schande, die mir bei einem Versagen drohte, konnte mich aufmuntern. Selbst die Aussicht auf Sticheleien von Melifaro, auf die gehässige Freude von Juffin und auf das höhnische, zähnefletschende Lächeln von Lady Melamori - mit dem so sicher zu rechnen war wie mit dem Amen in der Kirche - vermochte mich nicht aufzurütteln. Süße Schläfrigkeit umgab mich wie ein weißes Kissen, mit dem mich eine unsichtbare Hand zu ersticken suchte. Es fehlte nicht viel, und ich wäre eingeschlafen.
    In dieser schwierigen Lage rettete mich die Flasche Kachar-Balsam, die ich glücklicherweise mitgenommen hatte. Ich musste ziemlich viel davon trinken, doch ich beklage mich nicht: Der Balsam ist nicht nur eins der wirksamsten Stärkungsmittel, sondern schmeckt auch ungemein lecker.
    Im Nachhinein erklärte mir Juffin, dieses Trinken habe denjenigen provoziert, der mich - um die Geschehnisse zu beschleunigen - in der Zelle beobachtet habe. Das Wesen habe offenbar entschieden, ich sei kein ernsthafter Gegner mehr, da ich zur Selbstverteidigung den Balsam - also immerhin Magie achten Grades! - benutzt hatte. Meine offensichtliche Hilflosigkeit habe das geheimnisvolle Wesen anscheinend dazu verführt, eine der am wenigsten überlegten Entscheidungen seines seltsamen Lebens zu treffen.
    Darüber wollte ich nicht mit Juffin streiten. Auch ich glaubte, das Unheil verkündende, ob seiner einsamen, halbdurchsichtigen Existenz verwirrte Wesen habe nicht mehr länger warten können. Welcher Logik mochte es gefolgt sein? Der tote Magister hatte mir das Leben rauben wollen. Er war zu diesem Versuch gezwungen, je eher, desto besser. Bestimmt war mein Funken - oder wie man es nennen will - genau das Quantum an Lebensenergie, das ihm zur Auferstehung fehlte. Er hatte ja schon seit sehr langer Zeit auf dieses Ziel hingearbeitet und die Kraft all derer, die in Zelle Nummer Fünf eingesessen hatten, Tropfen für Tropfen aufgesogen. Eines Tages jedoch - im 112. Jahr, um genau zu sein - hatte Sir Machligl Annoch sich dann als so stark erwiesen, dass er sich nicht länger von der ausdünstenden Lebensenergie der in seiner ehemaligen Zelle gefangen gesetzten Häftlinge mühsam und wie von Brosamen hatte ernähren müssen, sondern sich aktiv des fremden Lebens bemächtigen und die Zelleninsassen töten konnte, um ihre konzentrierten Vitalkräfte aufzunehmen. Er brauchte fremdes Leben, um selbst wieder lebendig zu werden.
    Der Funke meines direkten Vorgängers in Zelle Nummer Fünf hatte die schattenhafte Existenz des alten Magisters so mächtig werden lassen, dass er sogar in die Träume der Insassen der Nachbarzellen hatte eindringen können. So unpassierbar die Gefängniswände auch für alle Formen von Magie unter Lebenden waren, so wenig galt dieses Hindernis für ihn, da er als tot zu gelten hatte. Er wollte nur eins: Er wollte genug fremde Lebensenergie sammeln, um demnächst aufzuerstehen. Und er war auf dem besten Wege dazu. Ihm fehlte nur noch der letzte Schluck jenes Getränks, das man in Echo Funke nennt. Und dieser letzte

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