Das Echo
kontrollierten Stimme dieser Frau ein Alter und ein Gesicht zuordnen könnte, und eine noch größere Hilfe, wenn er wirklich der Überzeugung wäre, bei diesem Interview würde irgend etwas von Wert herauskommen. Seiner Ansicht nach war die ganze Übung wahrscheinlich nichts als Zeitverschwendung, und er war noch weniger als sie motiviert, sie zu Ende zu bringen. Jedoch…
»Es ist nicht meine Art, andere auszubeuten, Mrs. Powell, und mich interessiert Billy Blakes Geschichte. Schauen Sie, was haben Sie zu verlieren, wenn Sie mit mir sprechen? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir die ganze Sache abbrechen, wenn Ihnen der Verlauf des Gesprächs nicht gefällt.«
»Also gut«, sagte sie plötzlich entschieden. »Ich erwarte Sie morgen abend um acht.« Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden.
Die Redaktion des Street war nur eine blasse Erinnerung daran, daß die Straße, die der Zeitschrift den Namen gegeben hatte, die Fleet Street, einst der pulsierende Mittelpunkt der Zeitungswelt gewesen war. Über der Haupttür des Gebäudes stand noch der Name des Magazins, aber die Buchstaben waren verblichen und angeschlagen, und nur selten bemerkte ein Passant sie überhaupt. Wie zuvor bei den meisten Blättern, die inzwischen in billigere, effizientere Arbeitsräume in den Docklands an der Themse umgezogen waren, war auch beim Street die Schrift an der Wand nicht mehr zu übersehen. Schon wartete hinter den Kulissen ein neuer dynamischer Eigentümer mit Ambitionen zum Pressezaren, voller Pläne, die Zeitschrift komplett umzukrempeln und durch einen belebenden Sprung in ein nagelneues Haus in einer Londoner Vorstadt die Kosten zu senken, die Produktion zu verbessern und dem Blatt ein zeitgemäßes Image zu verpassen. In der Zwischenzeit kämpfte die Zeitschrift weiterhin mit überholten Arbeitsmethoden in einem eleganten, aber unpraktischen Ambiente um ihr Überleben, geleitet von einem Chefredakteur, Jim Pearce, der sich nach der guten alten Zeit zurücksehnte, als die Reichen die Armen ausbeuteten und jeder wußte, wo er hingehörte.
JP, der noch keine Ahnung hatte, was in den ersten Wochen des neuen Jahres auf sie zukommen sollte (in seinem Fall der erzwungene vorzeitige Ruhestand), jedoch über die Weigerung des gegenwärtigen Eigentümers, langfristig zu planen, zunehmend beunruhigt war, suchte Deacon am folgenden Nachmittag in seinem Büro auf. Die einzigen Zugeständnisse an den modernen Fortschritt waren ein Computer und ein Anrufbeantworter; im übrigen sah das Zimmer aus wie vor dreißig Jahren, mit dunkelroten Wänden, einer Eichentür und orangefarbenen Blumenvorhängen am Fenster, letzter innenarchitektonischer Schrei der erfolgreichen, klassenlosen Zeit in den sechziger Jahren.
»Ich möchte, daß Sie einen Fotografen mitnehmen, wenn Sie Mrs. Powell interviewen, Mike«, sagte Pearce in dem aggressiven Tonfall, der sich mit dem Verstreichen jedes neuen Tages der Ungewißheit tiefer einfraß. »So eine Gelegenheit kann man nicht ungenutzt lassen. Ich möchte Tränen und Reue von einer Thatcheranhängerin, die die Wahrheit erkennt.«
Deacon hielt seinen Blick auf den Bildschirm gerichtet und tippte weiter. Mit einer Größe von einem Meter achtzig und einem Gewicht von über achtzig Kilo war er nicht so leicht umzuwerfen. Außerdem hatte er Mrs. Powell belogen und war nicht besonders scharf darauf, daß sie es erfuhr. »Kommt nicht in Frage«, sagte er barsch. »Sie ist schon das letztemal abgehauen, als Fotografen aufgetaucht sind, und ich opfere doch nicht meine kostbare Zeit, um da rauszufahren und die blöde Kuh zu interviewen, nur damit sie mir die Tür vor der Nase zuschlägt, sobald sie eine Kamera sieht.«
Pearce ging darauf nicht ein. »Ich habe Lisa Smith gesagt, daß sie Sie begleiten soll. Sie weiß, wie man sich benimmt, und wenn sie ihre Kamera so lange versteckt, bis Sie drinnen sind, müßte es Ihnen beiden doch gelingen, Mrs. Powell umzustimmen.« Er warf einen kritischen Blick auf Deacons zerknittertes Jackett und sein unrasiertes Gesicht. »Und bringen Sie sich um Gottes willen etwas auf Vordermann, sonst kriegt die gute Frau ja gleich einen Schreikrampf, wenn sie Sie sieht. Ich möchte eine reiche, wohlgenährte Konservative, die über die schreienden Mißstände der Wohnungspolitik dieser Regierung Tränen vergießt, nicht jemanden, der bei Ihrem Anblick zur Salzsäule erstarrt, weil er Sie für einen Räuber hält.«
Deacon kippte seinen Stuhl nach hinten und betrachtete seinen Chef
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