Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
bepflanzten Allee aus wirkte das Tor interessanter. Die angeschossene bronzene Quadriga wurde gekrönt vom roten Banner unserer Heimat, das sich in Wind und Sonne bauschte. Die Pferde, von einer Granate verstümmelt, schienen just vor dem Abgrund zu stoppen.
Wie oft hatte ich schon in der Vorkriegszeit Fotografien dieses Bauwerks gesehen. Darauf wirkte es feierlich und monumental. Vielleicht hatte ein Durchschuß in einer der Säulen oder etwas anderes den Eindruck gestört, jedenfalls schien mir das Tor durchaus nicht majestätisch, als ich es zeichnete.
Am anderen Ende stieß die Straße Unter den Linden auf einen Platz, an dem sich das Berliner Schloß erhob. Vor dem Gebäude stand ein pompöses Denkmal für Wilhelm I. Den Kaiser umgaben diverse allegorische Figuren; ich erinnere mich unter anderem an eine Frau, die neben einem sein Pferd zügelnden Reiter einherschritt. Das Monument war durch Beschuß beschädigt, am Sockel lagen Teile eines bronzenen Ritters umher; mich verblüfften die Ausmaße seiner riesigen behandschuhten Hand.
Mitten auf dem Platz stand auf einem Podest eine sowjetische Reguliererin. Flott und gekonnt hantierte sie mit ihren Fähnchen. Vielleicht war sie eine von den Mädchen, die uns schon im Raum Kalinin in Regen und Schnee den Weg gewiesen hatten. Ich betrachtete ihre adrette, vertraute kleine Gestalt und war von Herzen froh, sie hier im Zentrum von Berlin zu sehen. Ich konnte nicht widerstehen und zeichnete dies vor mir aufgetauchte Bild des letzten Tages des Frontlebens, des 8. Mai.
Bei Sonnenuntergang kehrte ich in die Redaktion zurück. Es dunkelte. Noch herrschte eine ungewohnte Stille, und der Abend, vom Duft des jungen Grüns erfüllt, war wundervoll.
Plötzlich schossen Raketen hoch, eine nach der anderen. Bunte Lichtfontänen zerflossen am Himmel, dichte Rauchstreifen hinterlassend. Lustige Fünkchen tanzten umher und verhießen das langerwartete friedliche Leben. ich wußte nicht, woher dieses Feuerwerk kam. Vielleichtfeierte jemand, so wie wir gestern, im voraus den Abschluß des Krieges? Es war der Vorabend des großen Feiertags, des Tages des Sieges.
Fritz J. Raddatz *1931
Berlin
Leichen waren für mich nichts Ungewohntes, sie lagen im Mai 1945 in Parkanlagen, am Straßenrand, oft so ausgeplündert, dass nicht zu erkennen war, ob erschossener Soldat oder umgebrachter Zivilist. Geschändete Frauen mit aufgerissenen Mündern, die Goldzähne von Fledderern herausgebrochen. Manche halb verkohlt in den Trümmern verbrannter Häuser. Es war nicht Flieder, noch waren es Hyazinthen, nach denen in diesem Frühjahr die Luft süßlich schmeckte.
Eine Rundfunksendung
(Berlin)
BBC-Bericht über das zerstörte Berlin
4' 20
Erinnert ihn an Photos von den Wüsten in Colorado /Situation am Flughafen Tempelhof /Auf der Fahrt nach Karlshorst hat er kaum ein unzerstörtes Haus gesehen / Die Bevölkerung ist apathisch / Den Zustand Berlins kann man in fünf Worten zusammenfassen: «Berlin has ceased to exist» / Die Zerstörungen Berlins können nicht mit denen anderer deutscher oder alliierter Städte verglichen werden / Die Lage ist «terribly im- and depressing» / Die Zahl der meist in den Kellern lebenden Bevölkerung wird auf etwa 2 Millionen geschätzt, es sind meist Kinder oder Alte.
Reporter: Thomas Cadett (engl)
*
Der Generalfeldmarschall
Wilhelm Keitel 1882–1946
Berlin
Am 8.5. [1945], nach Rückkehr von Jodl am 7. 5. aus dem Hauptquartier des Generals Eisenhower bei Reims, flog ich im Auftrag des Großadmirals – als Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht – mit dem [von] Jodl und dem Stabschef Eisenhowers vollzogenen Vorvertrag in einer englischen Transportmaschine nach Berlin. [...]
Wir flogen zunächst nach Stendal. Dort wurde eine Staffel von Verkehrsmaschinen zusammengestellt, unter Führung des englischen Luftmarschalls und des bevollmächtigten Vertreters des General Eisenhower. Nach einer Art Ehrenrunde über Berlin landeten wir, ich als letzter mitmeiner Passagiermaschine, auf dem Flughafen Tempelhof. Ein Ehrenbataillon der Russen mit Musikkorps empfing die englische und amerikanische Delegation; wir konnten aus der Ferne von unserem Landeplatz die Zeremonie beobachten. Zu meiner Begleitung war ein russischer Offizier – man sagte mir, der Oberquartiermeister von General Schukow – [befohlen]. [Er] fuhr mit mir im Auto, die anderen Wagen meiner Begleitung folgten.
Wir fuhren über den Bellealliance-Platz durch die Außenstadt nach
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